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Höppner 

Fairer Wettbewerb im Onlinehandel – Amazon im Fokus des Kartellrechts

Abbildung 1

Prof. Dr. Thomas Höppner, LL.M., Berlin

Seit Jahren wächst der Onlinehandel stärker als der stationäre Einzelhandel; allein 2018 um 10 %. Knapp die Hälfte des E-Commerce-Umsatzes in Deutschland wurde von Amazon erwirtschaftet. Die eine Hälfte davon durch eigene Produkte, die andere über den Amazon Marketplace. Amazons virtueller Marktplatz hat sich zur zentralen Vertriebsplattform für kleine und mittelgroße Händler entwickelt. Für sie ist der Marktplatz Fluch und Segen zugleich.

Einerseits erlangen sie über amazon.de eine Reichweite, die weder mit einem eigenen Onlineshop noch über andere Portale erreichbar ist. Investitionen in Marketing, Zahlungs-, Liefer- und Kundendienste werden weitgehend entbehrlich. Amazons Marktplatz ist omnipräsent.

Andererseits verlangt Amazon Händlern auch immer mehr ab. Sich seiner zentralen Stellung voll bewusst, bestimmt Amazon einseitig die Konditionen. Händler büßen so nicht nur die direkte Geschäftsbeziehung zu Endkunden ein. Sie verlieren zunehmend die gesamte Kontrolle über den Onlinevertrieb.

So richtig Sprengstoff bekommt die Beziehung aber erst durch Amazons eigene Angebote. Mit dem Eigenhandel erzielt Amazon höhere Margen als mit dem Marktplatz. Daraus resultieren Anreiz und Fähigkeit zugleich, Käufer auf amazon.de zum Erwerb der eigenen Produkte zu verleiten und erfolgreiche Produkte externer Händler ins eigene Sortiment zu übernehmen. Seit Jahren beschweren sich Marktplatzhändler, dass Amazon sie im Wettbewerb gegenüber Endkunden unfair behandelt. Allein das Bundeskartellamt erhielt Stand 2018 über 70 Beschwerden.

Im Herbst 2018 haben das Bundeskartellamt und die Europäische Kommission nun endlich reagiert. Nahezu gleichzeitig leiteten sie Untersuchungen gegen Amazon ein. Das Bundeskartellamt konzentriert sich auf die Kartellrechtskonformität bestimmter Geschäftsbedingungen und damit zusammenhängender Verhaltensweisen. Neben Gerichtsstand- und Rechtswahlklauseln stehen u. a. Regeln zu Produktrezensionen, intransparente Kündigungen, irreguläre Zahlungspraktiken und Sperrungen von Händlerkonten auf dem Prüfstand. Insoweit greift das Amt klassische Kriterien der Missbrauchskontrolle auf. Völliges Neuland betreffen dagegen die Fragestellungen der Europäischen Kommission: Hat Amazon Verkaufsdaten, die es über den Marketplace sammelt, unzulässig für die Verbesserung des eigenen Angebots als Onlinehändler eingesetzt? Welche gesammelten Händlerdaten, z. B. über die (durchschnittlichen) Preise, verkauften Mengen oder gewährten Rabatte benötigt Amazon wirklich, um die Funktion seines Marketplaces als Intermediär zwischen Käufern und Händlern zu erfüllen? Welche Daten verwendet Amazon demgegenüber gegen oder ohne den Willen der Händler, nur um eigene Konkurrenzprodukte zu platzieren und (günstiger) zu bepreisen?

Beide Untersuchungen zeigen ein sich aus der Ökonomie von Intermediären ergebendes Dilemma. Zunächst profitieren die verschiedenen Nutzergruppen (hier: Käufer und Händler) vom Wachstum einer Plattform. Mehr Händler locken mehr Käufer an, mehr Käufer ziehen mehr Händler auf die Plattform usw. Gibt der Intermediär diese positiven (indirekten) Netzwerkeffekte an die Nutzer weiter, kann eine Konzentration der Nachfrage auf einen Intermediär volkswirtschaftlich vorteilhaft sein. Das Blatt wendet sich aber, sobald die Plattform beginnt, die durch die Konzentration begründeten Abhängigkeiten auszubeuten, indem Nutzern unangemessene Konditionen abverlangt werden. So ging Google etwa dazu über, nahezu alle kommerziellen Suchanfragen zu verauktionieren und auf den Verzicht von Immaterialgüterrechten zu bestehen. Facebook sammelte und verwertete plötzlich mehr Daten, als Nutzern bewusst und recht war. Und Amazon zwingt nun Händlern Konditionen auf, die sie bei anderen Geschäftspartnern nie akzeptieren würden.

Betrachtet man die zahlreichen Erscheinungsformen der Verzerrung des Wettbewerbs im Digitalbereich, ist ein Einschreiten auch des Gesetzgebers überfällig. Sowohl die europäische Plattform-zu-Business Verordnung als auch die 10. GWB-Novelle sollen u. a. kleine und mittlere Unternehmen besser vor unfairen Bedingungen marktstarker Intermediäre schützen. Eine Exportwirtschaft wie Deutschland kann auch kaum tatenlos zusehen, wie Vertriebsplattformen einseitig die Wettbewerbsbedingungen ganzer Industriezweige vorgeben und dank ökonomisch kaum noch angreifbarer Flaschenhalspositionen einen Großteil der Margen mit Mitteln abschöpfen, die sie bei Wettbewerb nicht durchsetzen könnten. Das gilt nicht nur, aber besonders dann, wenn diese Plattformen aus dem Ausland agieren und nur ein Bruchteil der abgeschöpften Umsätze in die heimische Wirtschaft zurückfließt.

Prof. Dr. Thomas Höppner, LL.M., Berlin

 
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