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K&R 2014, 1
Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine 

Daten schützen statt Daten sammeln - der Gerichtshof der Europäischen Union weist den Weg

Mit seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung setzt der Gerichtshof der Europäischen Union einen Schlusspunkt unter die seit fast 10 Jahren geführte Debatte zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten. Diese Entscheidung ist ein Meilenstein, denn sie erklärt schnörkellos und ohne Einschränkung die RL 2006/24 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 3. 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden für ungültig. Da der Gerichtshof die zeitliche Wirkung seines Urteils nicht begrenzt, wird die Ungültigerklärung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie wirksam, also ex tunc.

Dem von der EU-Kommissarin Cecilia Malmström eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ist damit die Grundlage entzogen. Das hat sie zwischenzeitlich erkannt und ausdrücklich die Beendigung angekündigt. Der seit mehreren Jahren geführte juristische Feldzug der EU-Kommission gegen die Bundesregierung endet damit kläglich. Nicht die Bundesregierung hat europäisches Recht verletzt, sondern die anderen Mitgliedstaaten verletzen jetzt mit ihren nationalen Gesetzen die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Kriterien zum Schutz des Privatlebens und der persönlichen Daten, wenn sie weiterhin die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten von Millionen Bürgerinnen und Bürgern ohne konkrete Anhaltspunkte erlauben. Es war richtig, dass die Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode nach der Entscheidung des BVerfG vom 2. 3. 2010, die die damals geltende Regelung zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt hat, dem Drängen der EU-Kommission und einiger Politiker nicht nachgegeben hat. Jetzt können die Befürworter der anlasslosen massenhaften Datenspeicherung auf 29 Seiten des Urteils des Europäischen Gerichtshofs nachlesen, dass Art. 7 - Grundrecht auf Achtung des Privatlebens - und Art. 8 - Grundrecht auf Schutz persönlicher Daten - der Europäischen Grundrechtecharta den Wünschen der Strafverfolger zur Verwendung dieser Daten zum Vorgehen gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität Grenzen setzen.

Ähnlich wie das BVerfG vor vier Jahren hat der Gerichtshof in der sechsmonatigen Speicherungspflicht sämtlicher Verkehrsdaten einen "besonders schwerwiegenden Eingriff" in die durch die Europäische Grundrechtecharta garantierten Rechte der Unionsbürger erkannt. Das Urteil liest sich teilweise wie eine Doublette der Karlsruher Kollegen.

Interessant sind aber vor allem diejenigen Passagen, in denen das Gericht über die Anforderungen des BVerfG und sogar die Schlussanträge des Generalanwalts des Gerichtshofs hinausgeht. Detailliert listet der Gerichtshof Gründe auf, weshalb er die anlasslose Speicherungspflicht für grundrechtswidrig erachtet: So würden Daten gespeichert, die nicht einmal im entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen. Auch fehle es an Ausnahmen für Berufsgeheimnisträger wie Pfarrer oder Anwälte sowie an sonstigen Beschränkungen auf bestimmte Personenkreise oder geografische Gebiete. Der Gerichtshof kritisiert ausdrücklich, dass Daten von Personen erfasst werden, bei denen keinerlei Anhaltspunkt für strafbares Verhalten besteht und keine objektiven Kriterien für einen Zusammenhang zwischen den Daten und der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit in der Richtlinie vorgesehen sind. Damit kritisiert er deutlicher als das BVerfG die anlasslose Speicherung von Daten, die eben nicht nur rein technischer Natur sind, sondern Rückschlüsse auf das Kommunikationsverhalten der Betroffenen zulassen. Das Vertrauen in die freie Kommunikation wird damit beeinträchtigt.

Was der Europäische Gerichtshof macht, ist höchst beachtlich. In wenigen, sehr klaren Sätzen stellt er das Prinzip einer anlasslosen Speicherung des gesamten Datenverkehrs infrage. Mit diesem Urteil dürfte die Zukunft dieses Instruments zur Überwachung von Millionen unbescholtener Unionsbürger in den Archiven der europäischen Institutionen liegen.

Für den Gerichtshof kommt diese Entscheidung einem Befreiungsschlag gleich. Er sendet damit ein deutliches Signal in Richtung eines gelebten kontinentaleuropäischen Verfassungsgerichtsverbundes, der neben ihm aus dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof und dem BVerfG besteht.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin a. D., Tutzing
 
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