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NUR 2023, 129
Rößner 

Plädoyer für eine Netzwende im Telekommunikationsbereich

Tabea Rößner, MdB*

Abbildung 1

Wie kann der Ausbau der Telekommunikationsnetze möglichst schnell, effizient, ressourcensparend und nachhaltig gelingen und am Ende den Verbraucherinnen und Verbrauchern ein günstiges und attraktives Angebot gewährleisten?

Es wird im Moment heftig gestritten in der Telekommunikationsbranche. Wettbewerber des Infrastrukturausbaus werfen sich gegenseitig vor, mit unlauteren Mitteln den Ausbau zu verhindern, wirtschaftlich unattraktiv zu machen und parallel Netze zu verlegen oder dies zumindest anzukündigen und so die Endkundinnen und -kunden zu verunsichern. Zu dieser Überbaudiskussion kommt die Ankündigung des EU-Binnenmarktkommissars Thierry Breton, Netzgebühren für den Ausbau unionsweit einführen zu wollen, die große Inhalte- und Diensteanbieter zahlen sollen, die ihre Datenpakete über die Netze jagen. Es geht also um eine Menge Geld. Letztlich stellt sich aber die Frage, welchen Preis am Ende die Gesellschaft dafür zahlt. Führt ein Wettbewerb zwischen den Infrastrukturanbietern nicht stellenweise dazu, dass der Ausbau verzögert, viel Geld in Mehrfachstrukturen versenkt wird und letztlich die Verbraucherinnen und Verbraucher dafür zahlen müssen? Die Bundesregierung nimmt zwar einiges an Steuergeld in die Hand, um den Ausbau zu fördern, dies allerdings nur dort, wo sich ein Ausbau privatwirtschaftlich nicht rechnet.

Der Gedanke des Wettbewerbs rührt von der Idee, dass Anbieter von Leistungen auf Augenhöhe attraktive Produkte entwickeln und günstig an die Verbraucherinnen und Verbraucher verkaufen können. Doch dass immer mehr Infrastrukturanbieter gleichzeitig Diensteanbieter sind und damit gegenüber Wettbewerbern ihre Dienste privilegieren können, steht diesem Gedanken entgegen. Daher gibt es regulatorische Ansätze, dies zu verhindern. Werden Unternehmen zu marktmächtig, kann der Staat zum scharfen Schwert der Entflechtung greifen, das allerdings höchst selten zum Einsatz kommt. Es wird immer mal gedroht, so als der frühere Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel „Google zerschlagen“ wollte. Auch die EU hat beim Gesetz über digitale Märkte, dem „Digital Markets Act“ (DMA), auf dieses Instrument verzichtet.

Während die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine alte Idee zur Trennung von Infrastruktur und Betrieb bei der Bahn hervorgekramt hat und aktuell fordert, wird im Telekommunikationsbereich darüber gar nicht diskutiert – vermutlich deshalb, weil bei der Privatisierung von Post und Telekommunikation damals die Weichen sehr früh in Richtung Infrastrukturwettbewerb gestellt wurden. Im Energiebereich dagegen gibt es ein gemeinsames Netz, durch das verschiedene Anbieter ihren Strom an die Verbraucherinnen und Verbraucher leiten. Strom zählte – anders als die Versorgung mit schnellem Internet – von Anfang an zur Daseinsvorsorge, obwohl laut GG immerhin eine Mindestversorgung garantiert werden muss.

Es wäre also dringend an der Zeit, als ersten Schritt die Versorgung mit Glasfaser als eine heute essentielle Aufgabe in den Katalog der Daseinsvorsorge aufzunehmen, denn sie ist notwendig für gesellschaftliche Teilhabe, ein zukunftsfähiges Wirtschaften und besonders energieeffizient. Die Glasfaser ermöglicht zudem, dass darauf viele Anbieter ohne Qualitätsverlust die allermeisten Nutzungen bedienen können. Das gilt auch für 5G-Mobilfunk, dessen hohe Bandbreiten ein gemeinsames, virtualisierbares Netz möglich machen. Die derzeit zu beobachtenden Doppelausbauszenarien erklären sich zwar aus der regulatorischen Historie des Telekommunikationssektors, erweisen sich langfristig indes nicht unbedingt als nachhaltig. 5G beispielsweise ist zwar der bisher energieffizienteste Mobilfunkstandard, mit Mehrfachstrukturen steigt aber der gesamte Energie- und Ressourcenverbrauch.

Auch wenn der europäische und deutsche Rechtsrahmen für Telekommunikation den Infrastrukturwettbewerb vorschreibt, kennt er heute schon Ansätze, die einen vitalen Wettbewerb auf den Netzen möglich machen sollen: etwa nationales Roaming im Mobilfunk- oder offener Netzzugang („Open Access“) im Festnetzbereich. Fraglich bleibt, ob diese Ansätze für die Zukunft ausreichen, gerade wenn man die Herausforderungen beim Ausbau wie Engpässe im Bau, Fachkräftemangel, das mehrfache Aufreißen von Straßen, die schwierige Standortsuche für Mobilfunk und schließlich den Klimawandel betrachtet.

Meine Kollegin Nina Scheer hat an dieser Stelle im Hinblick auf die veränderte Energiewirtschaft eine Netzwende im Energiebereich gefordert. Vielleicht sollten wir auch über eine Netzwende im Telekommunikationsbereich diskutieren.

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Vorsitzende des Ausschusses für Digitales des Deutschen Bundestages und Mitglied der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

 
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