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RIW 2022, I
Luttermann 

Eine Europäische Sprachenrechtsreform!

Abbildung 1

Die französische Sprachinitiative stellt die Notwendigkeit einer Sprachreform in der EU heraus

Wir müssen die Europäische Union wetterfest machen. Vielsprachig in Einheit, um Kurs zu halten in schwerer See: Klimawandel, Katastrophenwirtschaft mit Weltschuldenkrise und grünem Paradigmenwechsel, Hegemonialkonflikte (USA/China), Nationalisierung (Brexit, Polen, Ungarn). Die neue französische EU-Ratspräsidentschaft setzt dazu, bekräftigt durch die Assemblée Nationale, die Sprachenfrage auf die Agenda: Diversité et Citoyenneté.

Frankreich wirkt generalstabsmäßig präpariert. Die Kommission “Mehrsprachigkeit und die französische Sprache in Europa” prägt einen mehrjährigen Aktionsplan, den das Ministère de l'Europe et des Affaires étrangères der EU-Ratspräsidentschaft vorlegt. Gefördert werden soll – auch für mehr Bürgernähe – die Sprachenvielfalt in europäischen Institutionen (Parlament, Rat, Kommission). Dort herrscht Englisch (bzw. daraus umgangssprachlich deformiertes “Globish”) als Arbeitssprache, d. h. in rund 90 % der Dokumente; kaum 4 % sind in Französisch, der Rest ist in Deutsch oder einer der anderen 21 Amtssprachen der Union.

Offenbar eine gewaltige Schieflage. Umso mehr, als Englisch “post Brexit” nur noch rund 1 % Muttersprachler in der Union repräsentiert und selbst einer Rechtsgrundlage entbehrt. Denn Irland brachte Gälisch in die EU, Malta sein Maltesisch. Mit dem Austritt Großbritanniens, das Englisch 1973 einbrachte, mangelt der Vertrags- und Amtssprachenstatus. Wir sind mithin – weithin unbeachtet – im Umbruch. Ein Sprachenbabel? Ein Sprachenrecht ist elementar für rechtsstaatliches Handeln durch klare Sprache. Darauf gründet jedes Recht, wie John Locke zeitlos mahnt: “Where-ever law ends, tyranny begins” (Civil Government, 1689).

Das gilt besonders für das Europarecht in unserer vielsprachigen Gemeinschaft. Was gilt, wo ist es begrenzt? Das betrifft für Integration und Gleichheit grundlegend die Rechtsumsetzung in den Mitgliedstaaten und jeden Rechtsakt mit europarechtlichem Bezug. Praktisch fördern vielfältig Übersetzungsdifferenzen in 24 Sprachen unkontrolliertes Rosinenpicken im EU-Binnenmarkt (“language shopping”). Das läuft einer rechtsstaatlichen Gemeinschaft zuwider: Bürger und Unternehmen tragen Prozessrisiko als Sprachenrisiko, das letztlich der EuGH im Einzelfall erst nach Jahren rechtsverbindlich klären mag.

Allerdings wird auch beim EuGH monolingual gearbeitet, traditionell weithin in Französisch. Bezeichnend, dass gerade Franzosen die Unterstützung des Gerichtshofs bei der Ausbildung seiner Mitarbeiter in französischer Sprache fordern. Im Übrigen betont die Mehrsprachigkeitskommission trefflich, dass die europäischen Verträge die Mehrsprachigkeit zu einem Grundwert der Union machen und schreiben Mehrsprachigkeit groß auf ihre Fahne. Praktisch sollen z. B. mehr Quellentexte in Französisch und Deutsch geschrieben werden, während eine informelle Grenze von 50 % für Quellentexte in nur einer (dritten) Arbeitssprache (Englisch) gelten soll.

Klingt wie ein Kabinettstück französischer Diplomatie, in dem auf Sicht die anderen 50 % auf Französisch zulaufen: Dafür sorgt in den EU-Institutionen – nicht nur im französischsprachigen Raum (Brüssel, Luxemburg, Straßburg) – konsequente Sprachen- und Personalpolitik der zahlenmäßig schon führenden Franzosen (die seit 1959 einen Staatssekretär für Frankophonie haben), während englische Muttersprachler gehen und deutsche Repräsentanten mit ihrer Muttersprache kaum wahrgenommen werden. Ist der französische Ansatz mehr, als strategisch zunächst das ungeliebte Englisch zugunsten von Französisch zurückzudrängen?

Geboten ist eine weiterführende Basis. Mit der Sprachenregelung geht es um den nachhaltig gestaltbaren Wohlstand der Union, um unsere Einheit als Rechtsgemeinschaft in kultureller Vielfalt: durch ein Referenzsprachensystem, in dem das Europarecht in zwei Referenzsprachen rechtssicher gesetzt wird im Kontext aller Amtssprachen der Mitgliedstaaten. So kann es bürgernah, klar und gleich für jedermann – ohne die hegemoniale Dominanz und Verkürzung in nur einer Sprache – maßgebend etabliert und praktiziert werden, insgesamt rechtsstaatlich geordnet (Luttermann/Luttermann, Sprachenrecht für die Europäische Union, 2020).

Die Union würde damit ihren Wertekanon (Art. 2 Satz 1 EUV) praktizieren, ihre Identität und Handlungskraft stärken. Als Gemeinschaft, die subsidiär (Art. 5 EUV) rechtsklar fixiert von den Mitgliedstaaten gefördert wird, um solidarisch im Innern und wettbewerbskräftig in der Weltpolitik wirken zu können. Sinnvoll transnationaler Kooperation (Vernetzung) statt Solotanz gehört die Zukunft durch angemessene, innovative Entwicklung von Formen und Inhalten; zur Vertiefung und Erweiterung (Westbalkanstaaten), die mit bisheriger Praxis – pro Mitgliedstaat eine neue Vertrags- und Amtssprache (gemäß der EU-VO 1/1958) – scheitert.

Wohin steuern wir unsere Union?

Das Ziel ist gesetzt: Frieden und Wohlergehen für die Bürger der Union (Art. 3 Abs. 1 EUV). Grundlegend ist eine Sprachenrechtsreform. Rechtsstaatlich wie demokratisch angezeigt sind dabei mit kommunikativer Reichweite die sprecherstärksten Sprachen (Deutsch, Französisch) als Referenzsprachen im System aller Sprachen. Für Einheit in Vielfalt! Wann handeln wir?

Professor Dr. Claus Luttermann, Ingolstadt

 
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