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WRP 2017, I
Kieselstein 

Ein neues Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft

Abbildung 1

Dr. Jana Kieselstein

Nimmt der Streit um das Wissenschaftsurheberrecht ein glückliches Ende oder führt die Verabschiedung des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes (UrhWissG) am 30.06.2017 lediglich zu einem vorläufigen Ruhen der Debatte?

2003 hatte sich der Gesetzgeber das Ziel gesetzt, das deutsche Urheberrecht an die Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien anzupassen („Erster Korb“). Doch statt die Digitalisierung voranzubringen, führten die neuen Regelungen zu einer Vielzahl gerichtlicher Auseinandersetzungen: in einem für das Wissenschaftsurheberrecht bis dahin nicht gekannten Ausmaß. Auch der „Zweite Korb“ im Jahr 2008 brachte keine Entspannung. Neben die Rechtsstreitigkeiten um § 52a UrhG zum „Elektronischen Semesterapparat“ (BGH, 20.03.2013 – I ZR 84/11, WRP 2013, 1627 – Gesamtvertrag Hochschul-Intranet; BGH, 28.11.2013 – I ZR 76/12, WRP 2014, 699 – Meilensteine der Psychologie) trat die Rechtssache „Elektronische Leseplätze“ nach § 52b UrhG (BGH, 20.09.2012 – I ZR 69/11, WRP 2013, 511; BGH, 16.04.2015 – I ZR 69/11, WRP 2015, 1361). Seinen einstweiligen Höhepunkt erlebte das Wissenschaftsurheberrecht Ende 2016, als der zwischen der Kultusministerkonferenz und der Verwertungsgesellschaft Wort ausgehandelte Rahmenvertrag zu § 52a UrhG von der wissenschaftlichen Praxis abgelehnt und schließlich ausgesetzt wurde.

Parallel zum Ringen um offene Tatbestände und Anwendungsfragen der neuen Normen in Forschung und Lehre entwickelte sich ein facettenreicher Diskurs um eine Allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke im deutschen Urheberrecht: Doch wie eine solche Schranke ausgestalten? Ein oder mehrere Tatbestände, Einführung neuer oder Konkretisierung bestehender Regelungen, Flexibilität oder Rechtssicherheit, offene oder geschlossene Formulierungen, eine Generalklausel ähnlich dem angloamerikanischen „fair use“? Im UrhWissG hat sich der Gesetzgeber bewusst gegen „die Allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke“ entschieden. Auch eine Generalklausel erfordere Konkretisierung. Nur durch konkrete Normtexte könne Rechtssicherheit geschaffen und weiterer Rechtsstreit ausgeschlossen werden. Dies habe Vorrang vor Flexibilität. Zudem erlaube es das geltende Unionsrecht gerade nicht, eine Schrankenregelung generell zu Bildungszwecken einzuführen.

Um dem Anspruch auf Rechtssicherheit gerecht zu werden, nahm der Gesetzgeber im UrhWissG zunächst eine strukturelle Neuordnung der „gesetzlich erlaubte(n) Nutzungen für Unterricht, Wissenschaft und Institutionen“ in dem neuen Unterabschnitt 4 vor. Diese Binnenstruktur soll den Adressaten das Navigieren innerhalb der Schranken erleichtern und ihnen erlaubte Handlungen zielsicher aufzeigen. Zusätzlich werden unbestimmte Rechtsbegriffe, wie „kleine Teile“ in § 52a UrhG durch exakte Angaben, in dem Fall 15 %, ersetzt.

Daneben greift das Gesetz zwei Eckpunkte der Rechtsprechung auf, die sich aus Sicht der wissenschaftlichen Praxis als untauglich erwiesen hatten. Zunächst lehnt § 60g Abs. 1 UrhG n. F. den von den Verlagen geforderten Vorrang angemessener Lizenzangebote vor den gesetzlichen Erlaubnistatbeständen grundsätzlich ab. Zum Ausgleich erhalten die Urheber eine angemessene Vergütung. Für letztere genügen nun im Grundsatz nach § 60h Abs. 3 UrhG n. F. eine Pauschalierung oder repräsentative Stichproben der Nutzungen für nutzungsabhängige Zahlungen. Ferner werden neuere Verfahren wie das Text- und Data-Mining durch die Reform (§ 60d UrhG n. F.) berücksichtigt. Vollkommen unberührt bleibt dagegen der Aspekt Verleih von E-Books durch Bibliotheken. Zwar hatte der EuGH 2016 (EuGH, 10.11.2016 – C-174/15, WRP 2017, 42) entschieden, dass der Verleih nach geltendem EU-Recht zulässig ist und die Mitgliedstaaten Regelungen einführen dürfen, doch sieht der Gesetzgeber über das UrhWissG hinausgehenden Klärungsbedarf zwischen den Beteiligten.

Sowohl der Klärungsbedarf zum „E-Lending“ als auch die Befristung des UrhWissG lassen befürchten, dass das Wissenschaftsurheberrecht nicht dauerhaft befriedet wird. In letzter Minute wurde ein Kompromiss dergestalt gefunden, dass das Gesetz bereits in vier Jahren zu evaluieren ist und in fünf Jahren außer Kraft tritt. Zudem fielen dem Kompromiss die Regelungen zur weitergehenden Verwendung ganzer Zeitungsartikel und vergleichbarer Presseerzeugnisse durch Begünstigte aus Wissenschaft und Bildung zum Opfer. Dies führt bspw. zu der eigentümlichen Konstellation, dass ein zu privaten oder gar kommerziellen Zwecken Handelnder einen Zeitungsartikel nach § 53 UrhG n. F. (§ 53 UrhG wird ausschließlich für den Bereich Wissenschaft und Bildung aufgehoben.) kopieren darf, ein Wissenschaftler dagegen nicht.

Und schließlich droht aus einer weiteren Richtung Unruhe. Auf europäischer Ebene steht das Urheberrecht ebenfalls zur Disposition und Vorgaben aus Brüssel könnten noch vor 2023 den Gesetzgeber zu einem Tätigwerden zwingen. Derweil aber tritt das UrhWissG zum 01.03.2018 in Kraft und es bleibt zu hoffen, dass es die Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien fördern statt bremsen wird.

Dr. Jana Kieselstein, Augsburg

 
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