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WRP 2019, I
Alexander 

New Deal for Consumers

Abbildung 1

Prof. Dr. Christian Alexander

Unter dem Schlagwort „New Deal for Consumers“ hat die Europäische Kommission 2018 Vorschläge für eine Neugestaltung der verbraucherschutzrechtlichen Rahmenbedingungen unterbreitet (https://ec.europa.eu/newsroom/just/item-detail.cfm?item_id=620435). Diese sollen sicherstellen, dass alle europäischen Verbraucher die ihnen nach dem Unionsrecht zustehenden Rechte uneingeschränkt wahrnehmen können. Das Herzstück bildet der Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG, der Richtlinie 98/6/EG, der Richtlinie 2005/29/EG sowie der Richtlinie 2011/83/EU zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften (COM (2018) 185 final).

Aus lauterkeitsrechtlicher Sicht verdienen insbesondere die angedachten Änderungen der Richtlinie 2005/29/EG – der UGP-RL – Aufmerksamkeit. Diese Richtlinie ist seit fast 14 Jahren in Kraft und sie wirft nach wie vor grundlegende Fragen auf. Es bestünde durchaus Bedarf für eine gründliche Revision. Doch statt einer systematischen Verfeinerung und Erneuerung dieser Richtlinie enthält der Vorschlag der Kommission bloßes Flickwerk, das eine „Verschlimmbesserung“ der UGP-RL auf allen Ebenen befürchten lässt:

1. Das Vollharmonisierungskonzept soll durchbrochen werden. Die Mitgliedstaaten sollen durch eine Änderung von Art. 3 Abs. 5 UGP-RL die Möglichkeit erhalten, Bestimmungen „in Bezug auf aggressive oder irreführende Vermarktungs- oder Verkaufspraktiken im Zusammenhang mit unerbetenen Besuchen eines Gewerbetreibenden in der Wohnung eines Verbrauchers oder in Bezug auf Werbefahrten, die von einem Gewerbetreibenden in der Absicht oder mit dem Ergebnis organisiert werden, dass für den Verkauf von Waren bei Verbrauchern geworben wird oder Waren an Verbraucher verkauft werden, zu erlassen, sofern diese Bestimmungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder des Schutzes der Achtung des Privatlebens gerechtfertigt sind.“ Damit steht der bisherige Regelungsansatz in Frage. Neue Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den vollharmonisierenden Regelungen der Art. 8 und 9 UGP-RL und den erweiterten mitgliedstaatlichen Schutznormen wären zu erwarten.

2. Regelungsbedarf besteht aus Sicht der Kommission mit Blick auf die medienwirksam inszenierte „Nutella-Krise“. Künftig soll als Art. 6 Abs. 2 Buchst. c) UGP-RL ein eigenständiger Tatbestand eingeführt werden, wonach als irreführend gilt „jegliche Art der Vermarktung eines Produkts als identisch mit demselben in mehreren anderen Mitgliedstaaten vermarkteten Produkt, obgleich sich diese Produkte in ihrer Zusammensetzung oder ihren Merkmalen wesentlich voneinander unterscheiden“. Hier ist bereits fraglich, welches Interesse eigentlich geschützt werden soll. Sofern eine „echte“ Irreführung über die Zusammensetzung eines Produkts vorliegt, greifen bereits jetzt problemlos Art. 6 und 7 UGP-RL. Der Regelungsvorschlag scheint eher auf einen Schutz vor „gefühlten“ Täuschungen und von nationalen Befindlichkeiten hinauszulaufen.

3. Statt die „Schwarze Liste“ kritisch zu überprüfen und zu entrümpeln, plant die Kommission eine Erweiterung von Nr. 11 des Anhangs I der UGP-RL. Künftig sollen nicht nur bezahlte redaktionelle Inhalte, die als solche nicht erkennbar sind, sondern auch „erkaufte“ Einträge bei Online-Suchanfragen vom Verbotstatbestand erfasst werden. Auch hier fragt sich indessen, welchen Mehrwert dies bringen soll. Der BGH hat in der Preisportal-Entscheidung (27. 04. 2017 – I ZR 55/16, WRP 2017, 1468) überzeugend herausgearbeitet, dass sich solche Konstellationen mit dem bestehenden Instrumentarium sachgerecht lösen lassen.

4. Besonders zweifelhaft sind schließlich die Ideen zur Neugestaltung der Sanktionen bei Rechtsverstößen.

Art. 13 UGP-RL soll um einen Kriterienkatalog erweitert werden. Die Mitgliedstaaten sollen sicherstellen, dass die Verwaltungsbehörden oder Gerichte bei der Entscheidung über die Verhängung einer Sanktion und über deren Höhe eine Reihe von verschiedenen Umständen gebührend berücksichtigen. In der Sache läuft dies auf die Aufforderung hinaus, behördliche Sanktionen zu schaffen, denn die Kriterien lassen sich in einem zivilrechtlich geprägten Rechtsdurchsetzungssystem nur begrenzt berücksichtigen. Für die Befürworter eines Verwaltungslauterkeitsrechts dürfte dies Wasser auf die Mühlen sein. (Vgl. auch zu diesem Thema: Henning-Bodewig, Editorial Heft 4-2017, Köhler, WRP 2018, 519.)

Nicht weniger problematisch ist schließlich der Vorschlag, einen neuen Art. 11a UGP-RL einzuführen, wonach die Mitgliedstaaten vertragliche und außervertragliche Individualrechte für Verbraucher bei unlauteren Handlungen zu schaffen haben. Die Kommission denkt dabei („mindestens“!) an Vertragslösungsrechte und Schadensersatzansprüche. Insoweit setzt sich der Vorschlag in einen offenen Widerspruch mit Art. 3 Abs. 2 UGP-RL und lässt völlig außer Acht, dass bereits im geltenden Verbraucherschutz- und Deliktsrecht eine Vielzahl von interessengerechten Rechten und Ansprüchen zur Verfügung steht. Deutschland kannte übrigens mit § 13a UWG a. F. (1986–2004) ein individuelles Rücktrittsrecht des Abnehmers bei Täuschungen, das im Zuge der UWG-Reform wegen völliger Bedeutungslosigkeit abgeschafft wurde.

Nach alledem lassen sich kaum Argumente finden, um den „New Deal for Consumers“ zu begrüßen.

Prof. Dr. Christian Alexander, Jena

 
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