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Sicherheit, Gefahr, Risiko und Vorsorge im Lebensmittelrecht: Ein Beitrag zur Klärung von Begrifflichkeiten und Konzeption in der BasisVO [Verordnung (EG) Nr. 178/2002] (2025), S. Seite 31—Seite 33 
D. Erkenntnisinteresse und Gang der Untersuchung 
Alexander Thomas Lang 

D. Erkenntnisinteresse und Gang der Untersuchung

I. Erkenntnisinteresse

Diese soeben aufgezeigte scharfe begriffliche Differenzierung zwischen Gefahr und Risiko in Bezug auf die erforderliche Eingriffsschwelle behördlicher Maßnahmen stellt eine Eigenart des deutschen Sicherheits-, Umwelt- und Technikrechts dar. In den Rechtsordnungen anderer Länder, insbesondere der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, werden diese Termini hingegen anders definiert bzw. nicht als zusammengehöriges Begriffspaar verwendet. 187 Die diesbezügliche (deutsche) Einteilung sowie Unterscheidung in Gefahren und Risiken in den jeweils speziellen Ausprägungen findet sich dementsprechend auch nicht im Gemeinschaftsrecht wieder. Denn während der Risikobegriff im deutschen Recht, nach überkommenem Verständnis, seine Bedeutung erst durch eine Kontrastierung mit dem Gefahrenbegriff erfahren hat, insoweit also negativ geprägt ist, 188 bezieht sich dieser im Europäischen Recht auf ein sehr viel breiteres Spektrum an rechtlich relevanten Schadensmöglichkeiten. 189

Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang, dass die gemeinschaftsrechtlichen Risikobegriffe, anders als in der oben dargestellten Entwicklung auf deutscher Ebene, 190 obgleich diese zunächst eine Rekurrierung auf die Möglichkeit eines Schadens noch zuließen, durch einen klaren Wahrscheinlichkeitsbezug gekennzeichnet sind. 191 So stellt neben der hier gegenständli Seite 31 chen BasisVO auch die Novel-Food-Verordnung [VO (EU) 2015/2283] 192 nicht auf die Möglichkeit, sondern vielmehr auf die Wahrscheinlichkeit ab. 193 Der lebensmittelrechtliche Risikobegriff des Art. 3 Nr. 9 BasisVO weist dementsprechend eine große Ähnlichkeit sowie eine gewisse konzeptionelle Nähe zum deutschen polizeirechtlichen Gefahrenbegriff auf, indem er die beiden Elemente Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere der Wirkung in Funktion setzt. 194

Bedenkt man, dass die Begriffe Risiko und Gefahr eine zentrale Stellung im System des europäischen Lebensmittelrechts einnehmen, 195 auf deren Basis Entscheidungen mit Blick auf die Lebensmittelsicherheit zu treffen sind, 196 so erscheinen die genaueren terminologischen Grundlegungen einer näheren Betrachtung durchaus würdig. Eine solche Untersuchung der Begrifflichkeiten Risiko und Gefahr kann jedoch nicht abstrakt und losgelöst von den materiell-rechtlichen Hintergründen erfolgen, sondern erfordert eine eingehende und umfassende Klärung der diesbezüglichen Konzeption innerhalb der BasisVO, insbesondere auch der Frage, ob bereits der Risikobegriff unmittelbar eine eingriffsbegründende Schwelle zum (behördlichen) Tätigwerden einzieht oder eben nur in Verbindung mit weiteren, besonderen materiell-rechtlichen Vorgaben.

Dies wird schon deutlich aufgrund einer weiteren Unklarheit, die sich im Zusammenhang mit den äußerst praxisrelevanten Festsetzungen der Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit erblicken lässt. Hier wird in Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO anstelle der in Art. 3 Nr. 9 BasisVO verwendeten Risikodefinition („die Gesundheit beeinträchtigende Wirkung“) und der in Art. 3 Nr. 14 BasisVO verwendeten Gefahrendefinition („Gesundheitsbeeinträchtigung“) mit der Formulierung „gesundheitsschädlich“ ein neues Vokabular eingeführt, welches in Art. 3 BasisVO zudem nicht legal definiert ist. 197

Freilich sei bereits an dieser Stelle erwähnt, dass das übergreifende Konzept des Risikos, sowie das der daran anknüpfenden Risikoanalyse aus Art. 6 Basis-VO und des Vorsorgeprinzips aus Art. 7 BasisVO einen allgemeinen Rahmen Seite 32 für gesundheitsbezogene Entscheidungen unter Bedingungen der Ungewissheit bildet, welches für hoheitliche Entscheidungssituationen normativer wie administrativer Art, also sämtlich gilt und dementsprechend keineswegs dieselben einschneidenden Rechtsfolgen wie Art. 14 BasisVO in Form des Verkehrsverbots zeitigt. Dennoch steht das Merkmal der Gesundheitsschädlichkeit aus Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO, der somit einen eigenständigen und mithin wohl engeren begrifflichen Ansatz verfolgt, merkwürdig unverknüpft neben diesem allgemeinen Rahmen. Es stellt sich daher die Frage, ob und inwieweit sich Art. 14 BasisVO mit der Konzeption der Art. 6 und 7 BasisVO entweder synchronisieren oder zumindest in dessen Lichte auslegen lässt. Um dieses dogmatische Dunkelfeld zu erhellen wird es erforderlich sein, Art. 14 BasisVO in seiner Binnenstruktur systematisch zu erschließen und darauf aufbauend, diesen ins Verhältnis zu dem übergreifenden Konzept der Risikoanalyse und der Vorsorge zu setzen, welches wiederum nicht dem deutschen Sprachgebrauch zu Gefahrenabwehr und Risikovorsorge entspricht. 198

Die bisherigen Ausführungen, in denen – mehr oder weniger wie selbstverständlich – von dem sog. allgemeinen Konzept aus Risikoanalyse und Vorsorge die Rede war, sollen jedoch nicht den Eindruck erwecken, als sei dieses dogmatisch austariert und rechtswissenschaftlich vollständig erschlossen. 199 Vielmehr ergeben sich auch hierbei ganz wesentliche Fragestellungen, die für eine eingehende Untersuchung der begrifflichen Konzeption rund um den Risikobegriff und der Lebensmittelsicherheit in der BasisVO nicht ausgeklammert werden dürfen und können. Offen und ungeklärt ist in diesem Zusammenhang, wie das Vorsorgeprinzip und die Risikoanalyse respektive die Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit zueinander im Verhältnis stehen. Denn auch hier bestehen inhaltliche Unterschiede zwischen der deutschen und der europäischen Terminologie. Während das Vorsorgeprinzip in Deutschland den Regelungsgegenstand auf mögliche Gefahren erweitert, 200 dient es im Gemeinschaftsrecht vielmehr regelmäßig dazu, Eingriffsmittel einem spezifischen Maßstab der Verhältnismäßigkeit zuzuführen. 201

Angesichts der Mehrzahl an praxisrelevanten, offenen Fragen und Ungeklärtheiten soll die vorliegende Untersuchung einen Beitrag zur Klärung von Begrifflichkeiten und der Konzeption des Systems der Risikoanalyse, des Vorsorgeprinzips und des Lebensmittelsicherheitsrechts in der BasisVO leisten.

Seite 33 II. Gang der Untersuchung

Entsprechend dieser Zielsetzung ist zunächst (in nachfolgendem Teil 2) der Risikobegriff des Art. 3 Nr. 9 BasisVO, auch im Kontext der verschiedenen Sprachfassungen, systematisch zu ergründen und sein Zusammenhang mit dem Gefahrenbegriff des Art. 3 Nr. 14 BasisVO zu beleuchten. Entscheidend wird zudem bereits hier sein, die konkreten Unterschiede und möglichen inhaltlichen Überschneidungen mit dem deutschen polizeirechtlichen Gefahrenbegriff herauszuarbeiten. Daneben soll ein Augenmerk auf die Ermittlung, Erhebung und Bewertung von Risiken gelegt werden, mithin auf die Risikobewertung, die den ersten Schritt des wissenschaftlich untermauerten, lebensmittelrechtlichen Systems der Risikoanalyse darstellt.

Sodann sind (in einem Teil 3) auf Grundlage der vorstehenden und bis dahin gewonnenen Erkenntnisse die weiteren Schritte der Risikoanalyse darzustellen, namentlich das Risikomanagement und die Risikokommunikation, also die (Rechts-)Folgen der Risikobewertung. In diesem Zusammenhang ist auch ein Blick darauf zu richten, ob und inwieweit sich bei der Anwendung oder Durchführung derselben Abweichungen auf Rechtssetzungs- bzw. Rechtsdurchsetzungsebene ergeben können.

Ausgehend von diesen Grundlegungen soll (in einem Teil 4) die Binnenstruktur des Art. 14 BasisVO, mithin die Zentralnorm des Lebensmittelsicherheitsrechts, einer dogmatischen Analyse zugeführt werden, in der ein besonderes Augenmerk auf das Merkmal der Gesundheitsschädlichkeit sowie auf den – durch Art. 14 Abs. 4 BasisVO konkretisierten – Maßstab der diesbezüglichen Wahrscheinlichkeit zu legen ist. Interessant erscheint dabei nämlich, wie sich hiesiger Maßstab der Wahrscheinlichkeit im Verhältnis zu dem des Risikos verstehen lässt. Eingang in die Betrachtung soll natürlich auch die zweite Fallgruppe der Lebensmittelsicherheit, die sog. Verzehrsungeeignetheit, finden, namentlich welchen Umfang und welche Reichweite diese im Vorfeld einer Gesundheitsschädlichkeit einnimmt, ohne tatbestandlich selbst eine solche vorauszusetzen.

Das Vorsorgeprinzip soll (in einem Teil 5) ebenfalls einer näheren Beleuchtung unterzogen werden, insbesondere im Hinblick auf die Frage, wie sich dieses tatbestandlich von Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO unterscheidet.

Abschließen wird die Untersuchung (Teil 6) mit einer Zusammenfassung der erarbeiteten Erkenntnisse.

187

187 Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, S. 105; Vgl. Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich, S. 249f.

188

188 Vgl. Lepsius, VVDStRL 63 (2004), S. 264, 267f.; Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, S. 105.

189

189 Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, S. 105; Beutin, Die Rationalität der Risikoentscheidung, S. 101f.

190

190 Vgl. hierzu die Ausführungen zum unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab unter Teil 1.B.II.

191

191 Vgl. hierzu auch Meinhard Schröder, Umweltschutz als Gemeinschaftsziel und Grundsätze des Umweltschutzes, in: Rengling, Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, § 9, Rn. 34ff.; Lepsius, VVDStRL 63 (2004), S. 264, 273.

192

192 Verordnung (EU) 2015/2283 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2015 über neuartige Lebensmittel, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 1852/2001 der Kommission, Abl. EU 2015 L 327/1.

193

193 Vgl. hierzu auch Lepsius, VVDStRL 63 (2004), S. 264, 273f.

194

194 Vgl. hierzu auch die einleitenden Ausführungen zur Ähnlichkeit des Risikobegriffes in der BasisVO mit dem deutschen polizeirechtlichen Gefahrenbegriff unter Teil 1.B a.E.

195

195 Gundel, § 8 Lebensmittelrecht, in: Ruffert (Hrsg.), Europäisches Sektorales Wirtschaftsrecht, S. 557, 580, Rn. 32.

196

196 Vgl. auch Thilo Ortgies, Rechtliches Risikomanagement im Lebensmittelrecht, S. 266ff.

197

197 Siehe hierzu ebenfalls die Ausführungen unter Teil 1.B., i.d.R. auch einleitend auf Unterschiede in den Sprachfassungen eingegangen wird.

198

198 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 1.B.

199

199 Vgl. hierzu insbesondere Möstl, LMuR 2022, 513, 513ff.

200

200 Vgl. hierzu auch die Ausführungen unter Teil 1.B.II.2.

201

201 Lepsius, VVDStRL 63 (2004), S. 264, 275ff.

 
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