R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
Suchmodus: genau  
Header Pfeil
 
 
Sicherheit, Gefahr, Risiko und Vorsorge im Lebensmittelrecht: Ein Beitrag zur Klärung von Begrifflichkeiten und Konzeption in der BasisVO [Verordnung (EG) Nr. 178/2002] (2025), S. Seite 104—Seite 106 
IV. Schlussfolgerungen und weitere Gedanken 
Alexander Thomas Lang 

IV. Schlussfolgerungen und weitere Gedanken

In unmittelbarem Anschluss an die Ausführungen bezüglich der beiden Fragen nach der Bestimmung der Akzeptabilität von Risiken bzw. einer damit einhergehenden materiellen Eingriffsschwelle zur Begründung von Risikomanagementmaßnahmen sowie nach der dementsprechenden Relevanz auch anderer berücksichtigenswerter Faktoren lassen sich interessante vorläufige Schlüsse ziehen, die freilich noch einer weitergehenden Untersuchung bedürfen, aber bereits hier als richtungsweisend bezeichnet werden können. In diesem Zusammenhang sei zunächst rekapituliert, dass die vorstehende Betrachtung zwar zunächst darauf hindeutete, dass sich diese Akzeptabilität sowohl – jedoch vorrangig – an (natur)wissenschaftlich-analytischen Bewertungen (in Form der Ergebnisse der Risikobewertung) als auch – allerdings nachrangig – an wissenschaftsfremden Umständen (in Form der in Erwägungsgrund 19 Seite 104 bezeichneten sog. anderen berücksichtigenswerten Faktoren) 700 orientiert, was aber in Bezug auf letztere eventualiter im Widerspruch zu den hochrangigen grundrechtlichen Schutzpflichten zugunsten der Verbraucherschaft 701 und der Zielsetzung der BasisVO steht, die ein hohes Maß an Schutz für das Leben und die Gesundheit der Menschen verfolgt, 702 jedenfalls soweit ein entsprechend hoher Risikograd konstatiert wurde, der ein staatliches Tätigwerden erfordert 703 .

Gegebenenfalls ließen sich jedoch diese beiden Stoßrichtungen bei entsprechender Auslegung und Rechtsanwendung in die Konzeption der BasisVO hineinlesen:

Erstens käme die Lesart in Betracht, welche die Einbeziehung der sog. anderen Faktoren auf die Frage des Wie des Risikomanagements beschränkt, die Akzeptabilität und das Ob also ausschließlich anhand der Ergebnisse der Risikobewertung bestimmt, 704 was insoweit mit dem lebensmittelrechtlichen Primärziel eines hohen Maßes an Schutz für das Leben und die Gesundheit der Menschen im Einklang stünde. 705

Zweitens, die Interpretation, nach der sowohl die Ergebnisse der Risikobewertung als auch die sog. anderen Faktoren zur Bestimmung der Akzeptabilität bzw. einer materiellen Eingriffsschwelle (nebeneinander, ergänzend) herangezogen werden, soweit dies angesichts des betreffenden Sachverhalts geboten erscheint, 706 was wiederum mit dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 i.V.m. Erwägungsgrund 19 BasisVO und der Konzeption der BasisVO d'accord geht.

Nicht übersehen werden darf überdies, dass die Risikobewertung bspw. im Falle wissenschaftlicher Unsicherheit nicht stets die Ergebnisse liefern kann, welche für eine konkrete Risikomanagemententscheidung erforderlich sind und daher ein Rückgriff auf das in Art. 7 BasisVO manifestierte Vorsorgeprinzip erforderlich ist. 707

Ersterer Ansatz weist unverkennbar den Vorteil der Klarheit in Bezug auf die Rechtsanwendung auf, da es sich bei der Bestimmung des Ob des Tätigwerdens zwar immer noch um eine politische Wertungsentscheidung handeln Seite 105 würde, diese aber vornehmlich auf objektiv ermittelten Erkenntnissen der Risikobewertung beruht und so den Schwerpunkt der politischen Entscheidung auf die Auswahl, das Wie, verengt, was wiederum den wissenschaftszentrierten Ansatz der BasisVO unterstreicht und gleichzeitig der Akzeptanz der jeweiligen Maßnahmen innerhalb der heterogenen Gruppe der Verbraucherschaft zugutekommen könnte.

Obgleich eben jener Vorteil der Klarheit und Abgrenzbarkeit zweiterer Lesart fehlt, böte diese doch eine abgestufte Betrachtung und Rechtsanwendung, die sich – bezieht man die Vorrangigkeit der Berücksichtigung der Ergebnisse der Risikobewertung, die grundrechtliche Dimension und den wissenschaftszentrierten Ansatz der BasisVO mit ein – anhand von drei Fallgruppen vollziehen könnte und müsste:

In einer ersten Fallgruppe würden ausschließlich die Ergebnisse der Risikobewertung für die Frage nach dem Ob herangezogen, nämlich dann, wenn diese so eindeutig ein bestimmtes Risiko für die menschliche Gesundheit konstatieren, dass sich die Frage nach dem Ob aufgrund des Untermaßverbots schlicht nur hierauf gründen kann und sich sodann die sog. anderen Faktoren allenfalls im Rahmen des Wie des Risikomanagements noch berücksichtigen ließen.

In einer zweiten Fallgruppe könnten sowohl die Ergebnisse der Risikobewertung als auch die sog. anderen Faktoren bzw. eine Auswahl derselben, soweit sie angesichts des betreffenden Sachverhalts berücksichtigungsfähig erscheinen, nebeneinander respektive ergänzend in die Beantwortung der Frage des Ob von Risikomanagementmaßnahmen Eingang finden, was natürlich voraussetzt, dass lediglich ein solch geringes Risiko für die menschliche Gesundheit ermittelt und prognostiziert wurde, welches nicht schon für sich Risikomanagementmaßnahmen erfordert.

Eine mögliche dritte Fallgruppe würde einen Rückgriff auf das Vorsorgeprinzip aus Art. 7 BasisVO beinhalten, namentlich sofern die Ergebnisse der Risikobewertung mit einer wissenschaftlichen Unsicherheit behaftet sind und daher vorbeugende Maßnahmen nötig erscheinen, was wiederum für beide Ansätze gleichermaßen relevant ist und die Einbeziehung anderer Faktoren in einem breiten Ausmaß ermöglicht 708 .

Obgleich wohl jede der beiden Lesarten für sich eine angemessene Grundlage für differenzierte Handlungsoptionen bereithalten würde, so scheint doch in Anknüpfung an die grundrechtliche Dimension und die Konzeption der BasisVO insgesamt mehr dafür zu sprechen, die Frage der Akzeptabilität von Risiken und somit die materielle Schwelle in Bezug auf das Ob von Risiko Seite 106 managementmaßnahmen differenziert anhand des konstatierten Risikogrades und der wissenschaftlichen Gewissheit zu bemessen und sodann abhängig davon die sog. anderen Faktoren zu berücksichtigen. 709

Vor allem da sich alleine aus der grundrechtlichen Dimension zwischen Untermaß- und Übermaßverbot ein diesbezüglich beträchtlicher Spielraum ergibt, 710 der mittels des offen gehaltenen Risikobegriffes aus Art. 3 Nr. 9 Basis-VO bzw. allein aus Art. 6 Abs. 3 BasisVO wohl nur schwerlich bis kaum gefüllt wird, 711 sollen eben diese Risikomanagementmaßnahmen im Folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen werden.

700

700 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.A. I.

701

701 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.A.II.

702

702 So Art. 5 Abs. 1 BasisVO.

703

703 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.A.III.

704

704 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.A.III.

705

705 Dieser Ansatz ließe sich auch als `wenn-dann-Ansatz` bezeichnen.

706

706 Siehe in Fortsetzung dieses Ansatzes die nachfolgenden Schlussfolgerungen unter Teil 3.C.; dieser Ansatz ließe sich auch als (abgestufter bzw. differenzierter) ‚je-desto-Ansatz‘ bezeichnen.

707

707 Siehe hierzu die nachfolgenden Ausführungen unter Teil 5.

708

708 Siehe hierzu die nachfolgenden Ausführungen unter Teil 5., ebd. insbesondere unter B.II.

709

709 Anders Rathke, in: Sosnitza/Meisterernst (ehem. Zipfel/Rathke), Art. 3 BasisVO, Rn. 79a.

710

710 Siehe hierzu die vorstehenden Ausführungen unter Teil 3.A.II.

711

711 Zur diesbezüglichen (einfachgesetzlichen) Konkretisierungsbedürftigkeit siehe bereits die vorstehenden Ausführungen unter Teil 3.A.II. 3. sowie unter III.

 
stats