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CB 2021, 269
Passarge 

Compliance und Sex

„Möglicherweise zeichnet sich hier ein neuer Compliance-Zweig ab, die Gender-Compliance.“

Die alte Weisheit der Bild-Zeitung stimmt also, Sex zieht immer. Auch in einer seriösen Zeitschrift wie dieser, denn sonst würden Sie diese Zeilen nicht lesen. Das Folgende hat also irgendwie mit Sex zu tun – beleuchtet aber im Zusammenhang mit Compliance nochmal eine zusätzliche Facette zum Beitrag „compliance@work“ von Jan-Patrick Vogel und Dr. Friedrich Goecke, die sich in dieser Ausgabe des Compliance-Beraters mit dem sehr ernst zu nehmenden Thema der sexuellen Belästigung befassen. Der folgende kuriose Fall bringt uns zu einem – nicht ganz so ernst gemeinten – neuen Beratungsfeld: der Gender-Compliance.

Kürzlich startete ein amerikanisches Social Media-Unternehmen eine Umfrage bei seinen Lieferanten. Nach den ersten belanglosen und zu erwartenden Fragen etwa nach den Social Media-Plattformen, auf denen das befragte Unternehmen aktiv ist, kam man zum Punkt. Es wurde nun gefragt, welchen Gruppen sich die Gesellschafter zuordnen würden: Frauen, LGBTQ, divers, nicht-binär oder unzutreffend.

Was aber hat diese Thematik bei einer Lieferantenbefragung zu suchen? Dies wirft viele Fragen auf. Wie wird mit den Ergebnissen umgegangen? Welche Bedeutung hat die Beantwortung – insbesondere eine wahrheitsgemäße oder wahrheitswidrige – für die Lieferanten? Und vor allem: Was geht das befragende Unternehmen die sexuelle Ausrichtung der Inhaber des Unternehmens überhaupt an? Nicht jeder, der zu einer der abgefragten Gruppen gehört, möchte dies offenlegen oder gar zum Gegenstand seiner beruflichen Tätigkeit machen. Diejenige, die mich auf dies Umfrage aufmerksam machte, gehörte auch zu einer der benannten Gruppen, fühlte sich durch diese Abfrage aber keineswegs besonders gewertschätzt, sondern diskriminiert.

Was folgt als nächstes, die Abfrage von Parteienpräferenz, sexuelle Vorlieben im Hinblick auf blond, braun, schwarz oder rothaarig? Besonders wichtig für die Beurteilung der Qualität von Lieferanten könnte aber auch die Frage sein, ob man Vegetarier, Veganer oder Frutarier ist.

Im deutschen Arbeitsrecht ist es gute und bewährte Praxis, dass auf unzulässige Fragen entweder gar nicht geantwortet werden muss, oder auch eine Lüge zulässig ist. Bekanntermaßen gilt dies nicht bei für das Unternehmen tatsächlich relevanten Fragen, wie etwa einschlägigen (nicht allgemeinen) Vorstrafen.

Was schlussfolgern wir also für die Lieferantenbefragung? Sollen die gestellten Fragen vom Unternehmen wahrheitsgemäß beantwortet werden? Möglicherweise mit der Folge, dass die Angabe einer „normalen“ sexuellen Orientierung nicht den Vorstellungen des Fragenden entspricht und man also aus dem Lieferantenkreis geschmissen wird. Bei bisherigen Compliance-Due-Diligence-Verfahren führt die Angabe von einschlägigen Compliance-Verstößen oder Strafverfahren zu Recht zum Ausschluss aus dem Lieferantenkreis. Eine wahrheitswidrige Angabe ebenso.

Erklärt sich das befragte Unternehmen auf die Genderfrage wahrheitswidrig als zu einer der Gruppen Frauen, LGBTQ, divers, nicht-binär zugehörig verbleibt es aber wahrscheinlich im Lieferantenkreis. Was aber geschieht mit diesen Daten? Erfolgt eine automatisierte Gegenprüfung beim Profil von Facebook, Instagram u. ä.? Was passiert, wenn die Lüge auffliegt? Fragen über Fragen.

Möglicherweise zeichnet sich hier ein neuer Compliance-Zweig ab, die Gender-Compliance. Ein gewiss interessantes Betätigungsfeld, wenn man sich die Gender-Compliance-Due-Diligence oder das Gender-Compliance-Audit vorstellt. Werden dann Teams losgeschickt, die die sexuelle Ausrichtung von Mitarbeitern, Geschäftsführung und Inhabern überprüfen? Werden dafür Testverfahren entwickelt und Stichproben durchgeführt? Wird es Anbagger- und Flirtversuche in der Kantine oder den Kneipen im beruflichen Umfeld geben? Sind die Unternehmen verpflichtet, insoweit eigene interne Ermittlungen durchzuführen? Wie qualifizieren sich die entsprechenden Teams, müssen diese mit allen möglichen und denkbaren sexuellen Orientierungen besetzt sein?

Abbildung 1

Dr. Malte Passarge ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und Partner in der Kanzlei HUTH DIETRICH HAHN Rechtsanwälte PartGmbB, Vorstand des Instituts für Compliance im Mittelstand (ICM) und Geschäftsführer von Pro Honore e. V. sowie Chefredakteur des Compliance-Beraters.

 
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