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INTER 2018, 57
Müller 

Legal Tech – for Legals or for Techies?

Abbildung 1

„The first thing we do, let’s kill all lawyers“ – das häufig bemühte Zitat aus William Shakespeares Henry VI. (Teil 2) versinnbildlicht die Schreckensvision, die für die Beschreibung möglicher Auswirkungen von Legal Services and Technology – kurz: Legal Tech – auf den Arbeitsmarkt für Juristen zunehmend gezeichnet wird. Denn wenngleich keine sofortige Abschaffung der rechtsprechenden und rechtsberatenden Juristinnen und Juristen durch digitaltechnische Rechtsanwendungen zu befürchten steht, sinnieren Juristen doch inzwischen offen über die eigene Entbehrlichkeit, die ihnen durch Legal Tech drohen könnte (vgl. Kilian, NJW 2017, 3048 ff.). Hinter dem Begriff verbirgt sich eine Reihe informationstechnisch getriebener Entwicklungen, die Rechtsdienstleistungen schneller und breiter verfügbar, inhaltlich verlässlicher und zugleich kostengünstiger machen möchten. Dazu müssen die Grundlagen der Rechtsdienstleistungen datafiziert, standardisiert und so „industrialisiert“ werden, überdies kommen künstliche Intelligenz und Blockchain-Technologien zum Einsatz. Betroffen sind aus Anwaltsperspektive interne Prozesse wie die Kanzleiorganisation und die Dokumentenverwaltung, aber auch Akquise und Korrespondenz mit Mandanten, die Vertragsgestaltung und die Prognose richterlicher Entscheidungsfindung. Neben den Anwendungen von Legal Tech zum Einsatz in Kanzleien treten Unternehmen auf den Markt, die rechtsbezogene Dienstleistungen, die bisher (auch) durch Anwälte vorgehalten werden, digitalisiert, automatisiert und weitgehend „anwaltsfrei“ anbieten, so etwa die Durchsetzung von Fluggastrechten (vgl. dazu www.flightright.de). Darüber hinaus kann durch Legal Tech auch die Arbeit in Gerichten und Verwaltungen, und nicht zuletzt der Rechtsetzung selbst, qualitativ höherwertiger werden. Für das gesamte Rechtssystem brechen neue Zeiten an.

Dass die Technisierung des Rechts und der Rechtsdienstleistungen derzeit noch im Windschatten der Industrie 4.0-Schlagzeilen und Megatrends der Datafizierung segelt, zeigt nicht zuletzt der aktuelle Koalitionsvertrag der die Bundesregierung tragenden Parteien, dessen Herzstück auf 13 Seiten die „Digitalisierung“ ausmacht. Deren normativgesellschaftlicher Bezug beschränkt sich jedoch im Wesentlichen auf wenige Zeilen digitale Verwaltung und E-Government. Immerhin soll Verbrauchern die Rechtsdurchsetzung durch Digitalisierung, „insbesondere bei smart contracts“, erleichtert werden, was jedoch das Wesen von smart contracts auf bizarre Weise entstellt, da solche Verträge innerhalb ihres beschränkten Wirkungskreises Recht und Rechtsdurchsetzung, wie wir sie kennen, gerade überflüssig machen möchten (vgl. Glatz, Smart Contracts, in: Breidenbach/Glatz (Hrsg.): Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, S. 115; Besprechung in diesem Heft).

Noch ist unklar, wer die Gestalter von Legal Tech(-Produkten) sein werden. Alleine von Juristen werden die Transformationsprozesse jedenfalls nicht ausgehen, vielmehr werden Informatiker und Ingenieure in die Entwicklung und Umsetzung moderner Rechtsdienstleistungen involviert werden. Schon jetzt zeigt sich ein Bedarf an (informations-)technischen Berufsträgern mit Verständnis für juristische Zusammenhänge, wie nicht zuletzt neu entstehende Berufsbilder (Legal Process Manager, Legal Technology Manager) zeigen. Interdisziplinäre Projekte und Tätigkeiten werden die Norm. Die spezifisch anwaltliche Tätigkeit wird vornehmlich Kompetenzen verlangen, welche die Technik selbst nicht leisten kann: Kommunikation und Empathie gegenüber Rechtssuchenden. Und so könnten am Ende paradoxerweise digitale Technologien etwas zu Tage fördern, was zahlreiche juristische Laien nicht zu kennen glauben – die „menschliche“ Seite eines Juristen.

Prof. Dr. Stefan Müller

 
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