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K&R 2022, I
Liesem 

“Ja” zum Schutz gegen Kindesmissbrauch, “Nein” zur Chatkontrolle

Abbildung 1

Prof. Dr. Kerstin Liesem

“Wir schützen Euch”, das sei die Botschaft an die Kinder. “Wir kriegen Euch”, so laute die Botschaft an die Täter. Mit diesen Worten hat die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johannsson, Mitte Mai den Entwurf einer “Verordnung zur Festlegung von Vorschriften für die Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern” vorgestellt. Dabei verwies sie auf 85 Millionen Darstellungen von sexueller Gewalt gegen Kinder, die im Jahr 2021 im weltweiten Netz zirkulierten. 90 Prozent der Abbildungen lägen auf Servern in der Europäischen Union. Ziel des Verordnungsentwurfs der EU-Kommission sei es, “einen Weltstandard” zum Schutz von Kindern gegen solche Bilder im Netz zu etablieren.

Eine Kernvorschrift des 135-seitigen Entwurfs ist Artikel 10. Danach können Hosting-Anbieter und interpersonale Kommunikationsdienste durch so genannte “detection orders” verpflichtet werden, Software zu installieren, die sowohl bekannte und bisher unbekannte Abbildungen von Kindesmissbrauch als auch die Kontaktaufnahme von Erwachsenen gegenüber Kindern zu sexuellen Zwecken (so genanntes Grooming) aufdecken soll. Voraussetzung für den Erlass solcher “detection orders” ist das Vorliegen eines erheblichen Risikos dafür, dass Online-Dienste für die Darstellung von Kindesmissbrauch oder Grooming-Nachrichten genutzt werden.

Was bedeutet dies in der Praxis? Anbieter unverschlüsselter Kommunikation – zum Beispiel E-Mail-Anbieter – müssten Algorithmen auf ihren Servern installieren, um inkriminierte Kommunikationsinhalte herauszufiltern.

Anbieter von Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation wie zum Beispiel Messenger-Betreiber wie WhatsApp, Telegram, Signal oder Threema wären verpflichtet, Kommunikationsinhalte bereits vor dem Versenden zu filtern. Dies wiederum würde eine Verschlüsselung ad absurdum führen und den Schutz der Privatsphäre quasi durch die Hintertüre aushebeln.

Aus Wissenschaft, Politik und Verbänden hagelt es Kritik. Nicht an dem Ziel, aber an dessen Umsetzung. In der öffentlichen Diskussion in Deutschland wird der Entwurf sogar oft als “Chatkontrolle” gebrandmarkt.

Er sei ein massiver Angriff auf die Rechte auf Privatsphäre und Datenschutz (Art. 7 und 8 GRCh). Außerdem seien “chilling effects” für die Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 11 GRCh) zu befürchten, mahnt etwa Erik Tuchtfeld vom Max-Planck-Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht. Sogar ein “Dammbruch”, der zur Aushöhlung weiterer Grundrechte führen könne, sei nicht ausgeschlossen.

Hinzu komme, dass selbst die EU-Kommission technische Mängel bei der praktischen Umsetzung befürchtet. So geht sie davon aus, dass 12 Prozent der zukünftigen Meldungen “false positives” seien.

Fraglich ist auch, ob das Regelungswerk tatsächlich in der Lage wäre, Abbildungen von Kindesmissbrauch und Grooming nachhaltig einzudämmen. Denn es steht zu befürchten, dass die Kriminalität noch stärker als bisher in nicht-regulierte Bereiche wie das Darknet abwandert.

Ob das Ziel mit den vorgesehenen regulatorischen Mitteln tatsächlich erreicht werden kann, ist also unsicher. Auf der anderen Seite stehen aber massive Grundrechtseingriffe.

So charakterisiert der US-amerikanische Sicherheitstechnologe Matthew D. Green den Entwurf als “die ausgefeilteste Massenüberwachungsmaschinerie, die jemals außerhalb von China und der Sowjetunion eingesetzt” würde.

In dasselbe Horn stößt der Europaabgeordnete der Piraten Patrick Breyer. Er bezeichnet den Entwurf als einen “Riesenschritt in Richtung eines Überwachungsstaates nach chinesischem Vorbild”.

Bundesjustizminister Marco Buschmann äußert sich ebenfalls skeptisch. “Das BVerfG hat immer wieder die strenge Verhältnismäßigkeit heimlicher Ermittlungsmaßnahmen vor dem Hintergrund des besonders geschützten Brief- und Fernmeldegeheimnisses angemahnt”. Generelle flächendeckende Überwachungsmaßnahmen privater Korrespondenz gerade auch im digitalen Raum lehnt der Minister ab.

Auch von Verbänden kommt Kritik. So bezeichnet sogar der Deutsche Kinderschutzbund die Pläne als “unverhältnismäßig und nicht zielführend”.

Aus Strafverfolgerkreisen ist zu vernehmen, dass das Ziel zwar begrüßenswert sei, die fehlenden Ressourcen jedoch die große Herausforderung bei der Strafverfolgung darstellten. An Datenpunkten mangele es nicht. Das Problem sei, all die Fälle mit den vorhandenen Ressourcen abzuarbeiten. “Wir haben heute schon ein Heuhaufen-Problem. Die Masse der neuen Meldungen nach den EU-Plänen droht unsere Strafverfolgung lahmzulegen”, sagt ein Ermittler gegenüber der Zeitschrift “DER SPIEGEL”. Außerdem gäbe es andere – weniger grundrechtsinvasive Wege – den Tätern auf die Spur zu kommen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann und Digitalminister Volker Wissing haben sich gegen den Entwurf positioniert. In der jetzigen Form wird Deutschland ihm deshalb im Rat wohl nicht zustimmen. Auch wenn das Ziel, einheitliche Regelungen gegen den Kindesmissbrauch zu verabschieden, zu begrüßen ist, so gibt es doch zu viel Kritik an der Umsetzung. Also: “Ja” zum Schutz gegen Kindesmissbrauch und Grooming, aber “Nein” zur Chatkontrolle.

Prof. Dr. Kerstin Liesem*

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Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW. Studium der Rechtswissenschaften in Würzburg und Lausanne. Promotion zur Dr. jur. an der Universität Würzburg. Masterstudium Journalismus am Journalistischen Seminar der Universität Mainz. Interessenschwerpunkte: Medien- und Datenschutzrecht.

 
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