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NUR 2021, 193
Neumann 

Neue Hoffnung für ein Netzwirtschaftsregulierungsgesetz?

Andreas Neumann*

Abbildung 1

Zum Ende der 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages hat der Gesetzgeber gerade auch im Netzwirtschaftsrecht noch einmal Gestaltungswillen und -kraft gezeigt.

Zwar hielten sich die von ihm vorgenommenen Nachjustierungen im PostG noch in überschaubaren Grenzen und erfolgten schon fast unter „ferner liefen“ im Rahmen des „Gesetzes zur Verbesserung der Strafverfolgung hinsichtlich des Handels mit inkriminierten Gütern unter Nutzung von Postdienstleistern sowie zur Änderung weiterer Vorschriften“ (BGBl. 2021 I, 324). Aber immerhin ist es nach vielen gescheiterten Anläufen überhaupt endlich zu einer (sehr) kleinen PostG-Novelle gekommen, wenngleich sie z. T. auf nicht unumstrittenen Motiven beruhen mag. Noch wesentlich tatkräftiger zeigte sich der Gesetzgeber mit dem „Gesetz zur Weiterentwicklung des Eisenbahnregulierungsrechts“ (BGBl. 2021 I, 1737) und mit der vollständigen Neufassung des TKG durch das Telekommunikationsmodernisierungsgesetz (BGBl. 2021 I, 1858).

Mit allen drei Rechtsakten wurde in erster Linie sektorspezifischen Anpassungsbedarfen Rechnung getragen. Doch jenseits dieser Fortentwicklung der brancheneigenen Regelungsregime finden sich auch netzwirtschaftsübergreifend interessante Ansätze.

So wurde im Telekommunikations- und Eisenbahnrecht beispielsweise das bislang sehr strikte Erfordernis einer öffentlichen mündlichen Verhandlung in Beschlusskammerverfahren (§ 135 Abs. 3 TKG 2004, § 77 Abs. 6 S. 3 ERegG 2016) deutlich aufgelockert (§ 215 Abs. 3 und 4 TKG 2021, § 77 Abs. 6 S. 3 ERegG 2021). Die jeweilige Rechtslage nähert sich damit dem Energierecht an, das eine solche Verhandlung von jeher nur fakultativ vorsieht (§ 67 Abs. 3 S. 1 EnWG). Die Neuausrichtung der Rechtsmittelvorschrift – einschließlich der grundsätzlichen Kürzung des Instanzenzugs um das Oberverwaltungsgericht – in § 77a ERegG 2021 entspricht nunmehr auch äußerlich im Wesentlichen der Regelung im Telekommunikationsrecht (§ 137 TKG 2004, § 217 TKG 2021).

Aber auch im Bereich der materiellen Vorschriften werden die Netzwirtschaftsgrenzen vereinzelt überwunden, etwa wenn die Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung auch in § 20 Abs. 2 S. 1 PostG 2021 im Ansatz entsprechend der telekommunikationsrechtlichen Ausgestaltung (§ 32 Abs. 1 S. 1 TKG 2012, § 42 Abs. 1 TKG 2021) definiert werden oder nunmehr auch das Postrecht mit § 20 Abs. 4 PostG 2021 eine Preis-Kosten-Scheren-Missbrauchsvermutung wie in § 28 Abs. 2 Nr. 3 TKG 2004 bzw. § 37 Abs. 2 Nr. 3 TKG 2021 kennt.

Lenkt man den Blick von den diskussionsbestimmenden Themen der Regulierungstagespolitik auf diese Entwicklungen, stellt sich die Frage, ob es nicht vielleicht an der Zeit wäre, ein altes Vorhaben wieder auf die rechtswissenschaftliche Agenda zu setzen: die Frage nach den Möglichkeiten und der Sinnhaftigkeit einer übergreifenden Kodifizierung des Netzwirtschaftsrechts. Frühere Träume von einem umfassenden Regelungsregime für die vier klassischen Netzwirtschaften Energie, Telekommunikation, Eisenbahn und Post sind sicherlich ausgeträumt, zumal auf der nationalen Ebene mit den unionsrechtlich eng gezogenen Gestaltungsgrenzen.

Dagegen könnte aber nach wie vor Raum für ein rahmensetzendes Netzwirtschaftsregulierungsgesetz sein, wie die aktuellen Entwicklungen zeigen. Jedenfalls verfahrensrechtliche Grundzüge wie die Ausgestaltung von Beschlusskammerverfahren könnten Gegenstand eines solchen Gesetzes sein, als dessen Nukleus sich das Gesetz über die Bundesnetzagentur anbieten würde. Aber auch ein Kernbestand an materiell-rechtlichen Vorgaben ließe sich möglicherweise netzübergreifend formulieren, wie z. B. Missbrauchstatbestände für die Entgelte regulierter Unternehmen.

Selbst wenn die Grundsatzvorgaben eines solchen Rahmengesetzes dann ggf. sektorspezifisch ergänzt würden, könnte es doch zu der mittlerweile dringend nötigen Komplexitätsreduktion beitragen und die Konsistenz der Netzwirtschaftsregulierung fördern. In der Sache ist mit den jüngsten Novellierungen ein Anfang gemacht. Und vielleicht wohnt ihm ja der Zauber einer neuen Hoffnung für ein übergreifendes Netzwirtschaftsregulierungsgesetz inne.

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Geschäftsführer des Instituts für das Recht der Netzwirtschaften, Informations- und Kommunikationstechnologie (IRNIK).

 
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