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RdF 2021, 161
Dornseifer 

Sustainable Finance: nachhaltiges Investieren ermöglichen statt zu bürokratisieren

Die Finanzbranche benötigt eine realistische Chance, auch unter Proportionalitäts- und Materialitätsgesichtspunkten die vielfältigen ESG-Vorgaben zu implementieren!

Abbildung 1

Noch sind die Sustainable-Finance-Initiative und das damit verknüpfte regulatorische Maßnahmenpaket der EU nicht auf der Zielgeraden. Doch immer mehr Meilensteine dieses Mammutprojekts wurden bereits erreicht bzw. sind zum Greifen nahe, insbesondere mit Bezug auf den Bereich “Environmental”. Der Umsetzungsaufwand für die Finanzbranche ist gigantisch, und gerade deshalb ist nun Ruhe und Besonnenheit bei den nächsten Schritten und Maßnahmen gefragt. Doch stattdessen verkündete die EU-Kommission bei der Vorstellung der “Renewed Sustainable Finance Initiative”, dass sie sich nun “noch ambitionierter für eine nachhaltige Finanzbranche” einsetzen will. Grundlegende Level-I-Rechtsakte wurden auf den Weg gebracht und finden z. T. schon jetzt bzw. in naher Zukunft Anwendung, wie z. B. die Offenlegungs-, die Taxonomie-, die Benchmark-Verordnung oder die Richtlinie zu nichtfinanziellen Offenlegungen; parallel wurden bestehende Finanzmarktrichtlinien um besondere Environmental-Social- und Governance-(ESG-)Regelungen ergänzt. Komplementäre Durchführungsrechtsakte auf Level-II sind z. T. ebenfalls auf den Weg gebracht bzw. befinden sich in der finalen Abstimmung. Das gleiche gilt für daran anknüpfende technische Regulierungsstandards (RTS). Flankiert wird dies durch unterschiedliche Brancheninitiativen, die Guidelines und Standards entwickeln, um eine möglichst praxisnahe Implementierung sicherzustellen, wie z. B. die Financial Data Exchange, die u. a. an einem einheitlichen European ESG Template arbeitet. Mit jedem neuen Meilenstein, mit jedem neuen Rechtsakt wächst natürlich nicht nur die Komplexität der ESG-Regulatorik, sondern v. a. auch der Handlungsdruck auf alle Finanzmarktteilnehmer. Aber wie findet, strukturiert und administriert man z. B. taxonomiekonforme Investments, wie führt man für die Vielzahl der unterschiedlichen Assets konkret eine Analyse des Do-No-Significant-Harm-, des Principal-Adverse-Impact-Kriteriums, oder der Mindestanforderungen an die soziale Absicherung durch? Wie erfolgt eine Zielmarktbestimmung unter Einbeziehung von ESG-Merkmalen? Wie erfüllt man die unzähligen Offenlegungs- und Transparenzplichten? Ständig tauchen neue Auslegungs- und Anwendungsfragen oder auch Widersprüche auf, die beantwortet bzw. gelöst werden müssen. Und last, but not least: Was macht die Aufsicht mit den Unmengen an Daten, die nun zusätzlich erhoben, ausgewertet, verarbeitet und gemeldet werden müssen? Die Unterstützung der Sustainable-Finance-Initiative aus der gesamten Finanzbranche ist enorm, viele Investoren und Asset Manager haben sich die drei Buchstaben E, S und G aber auch schon vor längerer Zeit auf die Fahnen geschrieben und sich teilweise deutlich vor Green Deal & Co. Brancheninitiativen wie z. B. der von den Vereinten Nationen unterstützten Investorengemeinschaft Principles for Responsible Investments angeschlossen, um den nachhaltigen Wandel in der Finanz- und Realwirtschaft mitzugestalten. Genau diese Motivation und Akzeptanz gilt es nun zu erhalten. Und hier sind v. a. Politik und Aufsichtsbehörden gefordert. Gegenwärtig sehen sich alle Beteiligten einer immensen Komplexität ausgesetzt, und die einhergehende Bürokratie droht auszuufern; manche Vorschläge, wie etwa der erste Entwurf zu RTS zu Offenlegungs- und Berichtspflichten, schießen über das Ziel hinaus. Gerade das Datenthema inkl. Reporting und Offenlegung bereitet vielen Akteuren Kopfzerbrechen, und nicht ganz ohne Grund muss gefragt werden, ob hier ein weiterer, grüner Datenfriedhof entsteht? Oder anders ausgedrückt: Soll die BaFin z. B. das von einem Finanzunternehmen ausgewiesene Green Asset Ratio verifizieren oder die Taxonomiekonformität des Portfolios überprüfen? Wird die Aufsicht von der Finanzpolizei nun auch zur Nachhaltigkeitspolizei? Nur am Rande: Mit welchen organisatorischen und personellen Ressourcen soll das bewerkstelligt werden? Auch der Vorstoß, eigene Richtlinien für nachhaltige Investmentvermögen auf den Weg zu bringen, während auf europäischer und internationaler Ebene bereits Abstimmungen zur Vermeidung von Greenwashing erfolgen, muss kritisch hinterfragt werden. Die Branche muss eine realistische Chance haben, auch unter Proportionalitäts- und Materialitätsgesichtspunkten die vielfältigen neuen ESG-Vorgaben in Ruhe und praxisgerecht zu implementieren. Ein höchst ambitionierter Zeitplan, immer neuer Druck und eine ausufernde Formular- und Daten-Bürokratie helfen dabei nicht. Pragmatismus und Eigenverantwortung der Finanzmarktakteure sind gefragt, die schon aus Reputationsgründen und unter dem Druck der Investoren überobligatorisch an das Thema ESG herangehen. Wenn nachhaltiges Investieren nur möglich ist, wenn zigtausende Seiten Vorschriften befolgt und unzählige Templates akribisch befüllt werden, stellt sich die Frage, ob dies auch wirklich i. S. d. Nachhaltigkeit ist.

Frank Dornseifer ist Geschäftsführer des Bundesverbands Alternative Investments e. V.

 
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