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RIW 2019, I
Wilske 

Es gibt noch Richter in Luxemburg! – – Von politischen Akteuren und dem Respekt für das geltende Recht

Abbildung 1

Dem EuGH wurde gerade in Deutschland zuletzt mit Skepsis begegnet. Auch deutlich Berufenere als der Autor dieser Zeilen werden den Eindruck nicht los, dass es dem EuGH gelegentlich weniger um tiefsinnige Dogmatik als vielmehr um die Wahrung der eigenen Position im innereuropäischen Machtgefüge geht (Wilske, Du sollst keine anderen (Schieds-)Gerichte neben mir haben!, RIW 2019, Heft 5, Die erste Seite). Auch wohlwollende Kenner des EuGH sprechen dann von einer “politischen” Entscheidung (z. B. Hess, The Fate of Investment Dispute Resolution after the Achmea Decision of the European Court of Justice, MPILux Research Paper 2018 [3]).

Zuletzt hat sich der EuGH unter deutschen Staatsanwälten viele neue Freunde gemacht, als er den liebgewonnenen Glaubenssatz, dass die deutsche Staatsanwaltschaft “die objektivste Behörde der Welt” sei, ignorierte und entschied, dass wegen der Möglichkeit politischer Weisungen die deutschen Staatsanwaltschaften keine hinreichende Gewähr für Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive bieten, um zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls befugt zu sein (Urt. v. 27. 5. 20019, C-508/18). Dies mag das deutsche Selbstverständnis erschüttern, das gemeinhin davon ausgeht, Defizite der Unabhängigkeit der Justiz gegenüber der Exekutive hätten innerhalb der EU nur mittel- und osteuropäische Mitgliedstaaten. Grundsätzlich positiv ist es, wenn der EuGH hier einen strengen Maßstab anlegt . . . und diesen dann hoffentlich auch durchhält. Wenn es um die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank geht, wird dem EuGH dagegen gerne und nicht völlig zu Unrecht vorgeworfen, dass es ihm weniger auf die vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten rechtlichen Probleme ankommt, sondern das für die EU richtige Ergebnis zählt.

Bedauerlicherweise hat sich die derzeitige EU-Kommission stets weniger als Hüterin der EU-Verträge, sondern vielmehr als “politische” Kommission verstanden, für die “politische Geschmeidigkeit” wichtiger ist als die Einhaltung europäischer Regeln (Mussler, Junkers Politische Kommission, FAZ v. 5. 1. 2015). Dies kam Frankreich und Italien bei Defizitverfahren entgegen. Davon profitierten auch Teile der deutschen Politik, als der Präsident der Kommission tatsächlich eine Abgabe abwinkte, die im Bundestagswahlkampf 2013 noch als “Ausländermaut” propagiert wurde. Man durfte sich wundern, dass diese schon dem Geburtsnamen und der klaren gesetzgeberischen Intention nach diskriminierende Abgabe nach Namensänderung und einigen Retuschen für die EU-Kommission genehmigungsfähig war. Böse Zungen sagten daher, dass dies möglich gewesen sei, “weil die EU-Kommission flexibel genug war, die Frage, ob die Maut Ausländer diskriminiert oder nicht, von ein paar Millionen Euro abhängig zu machen”. (Böll/Müller, Von Merkels Gnaden, Der Spiegel 49/2016, S. 44). Selbstverständlich können Juristen auch dann noch Argumente dafür vortragen, dass eine solche Maut keine Schlechterstellung ausländischer Fahrzeughalter darstelle, wenn die Diskriminierung offensichtlich ist. Es ist umso erfreulicher, dass der EuGH (RIW 2019, 597) solcher Rabulistik eine klare Absage erteilt hat und sich nicht von politischer Opportunität leiten ließ.

Weniger schlagzeilenträchtig, aber ebenso beeindruckend ist die Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union (EuG) vom 18. 6. 2019 in Sachen der Micula-Brüder gegen die Kommission (T-624/15, T-694/15 und T-704/15). Die Kläger hatten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als schwedische Staatsangehörige in Rumänien investiert und wurden Opfer des rückwirkenden Entzugs von Subventionen. In einem ICSID-Schiedsverfahren wurde ihnen hierfür von einem internationalen Schiedsgericht Schadensersatz zugesprochen – gegen den erbitterten Widerstand der Kommission, die die Subventionen mit Beitritt Rumäniens als europarechtswidrig ansah. Die Kommission verbot der Regierung Rumäniens im Jahre 2015, die ausgeurteilten Schadensersatzbeträge zu bezahlen, weil die Auszahlung eine rechtswidrige staatliche Beihilfe darstelle. Nun mag man aus politischen Gründen die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit verdammen und meinen, alles werde besser, wenn bspw. im bilateralen Investitionsschutzvertrag zwischen der EU und Vietnam ein bilaterales Investitionsgericht vereinbart werde, in das die autoritäre vietnamesische Einparteienregierung ein Drittel der Richter entsende. Es ist aber schon viel Phantasie notwendig, um die Erfüllung einer völkerrechtlichen Pflicht, nämlich die Zahlung von ausgeurteiltem Schadensersatz als “staatliche Beihilfe” zu verstehen. Hier besteht die Gefahr weit größeren politischen Flurschadens, wenn der Eindruck entsteht, dass es auf die richtige Auslegung des Rechts gar nicht ankomme, sondern nur darauf, einem gewünschten politischen Ergebnis ein mehr oder weniger passendes pseudolegales Mäntelchen umzulegen. Das EuG hat diese Entscheidung der EU aufgehoben. Es hätte in der Begründung durchaus deutlicher sein können. Vielleicht genügen aber schon diese Signale aus Luxemburg – zugleich mit einer personellen Veränderung der Europäischen Kommission –, um der Bindung der EU-Organe an das Recht trotz allem Willen zur politischen Gestaltung wieder den richtigen Wert zuzuerkennen. Auch dem EuGH sollte zu denken geben, dass sein Urteil zur deutschen “Ausländermaut” tatsächlich in weiten Kreisen für Überraschung gesorgt hat. Vielleicht sollte es wieder selbstverständlich werden, dass bei diskriminierendem Namen eines Gesetzes, einer diskriminierenden Absicht und einer diskriminierenden Gestaltung (trotz späterer Retuschen) die Diskriminierung nicht fernliegt.

Dr. Stephan Wilske, Rechtsanwalt, Stuttgart

 
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