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Gerstberger 

Rauchen, Dampfen, Kauen, aber keine “dicke Lippe” riskieren? – Zum Streit um das Snus-Verbot

Abbildung 1

Selten wird die paternalistisch-politische Dimension der EU-Gesetzgebung so deutlich wie im Tabakprodukterecht. Zum Schutz der Verbraucher vor dem Konsum schädlicher Tabakprodukte ist dem Gesetzgeber jedes Mittel recht, um die Attraktivität der Produkte als Genussmittel zu schmälern: sei es auf der geschmacklichen Ebene durch das Verbot von aromatisierenden Zusätzen, sei es auf der Präsentationsebene durch die Verwendung gesundheitsfolgenbezogener Schockbilder und Warnhinweisen auf der Verpackung oder aber auch durch rigide Werbebeschränkungen bzw. Werbeverbote. Traditionell wird dem Gesetzgeber insoweit ein weiter Gestaltungsspielraum zugebilligt, denn der Schutz der öffentlichen Gesundheit ist ein durchaus legitimes Ziel.

Solche Maßnahmen beschränken die Tabakindustrie seit Umsetzung der Tabakprodukte-Richtlinie 2014/40/EU, der “TPD II”, zwar in ihren Möglichkeiten, den Produktabsatz durch eine attraktivere Zusammensetzung, Produktaufmachung oder Werbung zu steigern. Dennoch sind sie von ihren wirtschaftlichen Konsequenzen nicht mit einem Totalverbot zu vergleichen, das es in der EU immer noch für ein besonderes, rauchloses Tabakprodukt gibt: den sog. Snus. Snus ist ein “Tabak zum oralen Gebrauch”, der dazu zwischen Zahnfleisch und Oberlippe geschoben wird. Die in Snus enthaltenen Inhaltsstoffe werden so verspeichelt und direkt über die Wangenschleimhaut aufgenommen. Innerhalb der EU darf Snus aus historischen Gründen nur in Schweden vertrieben werden. Dass andernorts ein Verbot verhältnismäßig und nichtdiskriminierend sei, hatte der EuGH dagegen schon 2004 betont: Es fehle der Nachweis, dass die schädlichen Auswirkungen von Snus geringer als die anderer, etablierter Tabakerzeugnisse seien. Ohne ein Verbot könnte sich ein schädliches Erzeugnis neu auf dem Markt etablieren, welches besonders auf Minderjährige attraktiv wirke und diese in die Nikotinabhängigkeit führe.

Mehr als eine Dekade später erkennt die TPD II aber immerhin die Existenz neuartiger Tabakprodukte per Zulassungsvorbehalt an. Vor dem Hintergrund aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse darüber, dass der Gebrauch von Snus unschädlicher als der Gebrauch anderer rauchloser Tabakprodukte sei, kam es vor drei Jahren zu einem neuen Vorstoß gegen das Snus-Verbot. In der Rs. C-151/17 – Swedish Match II (Urt. v. 22. 11. 2018) scheiterten die Kläger allerdings wiederum vor dem EuGH. Nach Auffassung des EuGH ist “Tabak zum oralen Gebrauch” schon per Definition kein “neuartiges Tabakerzeugnis”, da dessen schädliche Wirkungen wissenschaftlich bereits festgestellt sind. Angesichts des hohen Wachstumspotenzials von Snus bei Markteinführung sei zum Schutz der Jugend ein Festhalten am Vertriebsverbot auch weiterhin gerechtfertigt. Dies gelte auch im Verhältnis zu den neu geregelten E-Zigaretten, die andere objektive Merkmale aufwiesen. Auch weiterhin sei nicht erwiesen, dass Snus verglichen mit anderen Tabakerzeugnissen eine geringere Schädlichkeit aufweise, zu weniger Abhängigkeit führe oder gar die Raucherentwöhnung erleichtere. Die Kommission sei in ihrer Folgenabschätzung zwar zu dem Ergebnis gekommen, dass rauchlose Tabakerzeugnisse weniger gesundheitsschädlich als Rauchtabakerzeugnisse seien. Dennoch enthielten auch diese Kanzerogene, könnten das Herzinfarktrisiko erhöhen und u. U. zu Schwangerschaftskomplikationen führen. Gestützt auf das Vorsorgeprinzip sei das Vertriebsverbot nicht offensichtlich ungeeignet bzw. unverhältnismäßig.

Das Festhalten am Snus-Verbot warf in der Folgezeit eine wichtige Abgrenzungsfrage auf – nämlich die zum Kautabak. Was, wenn ein pastöses Erzeugnis aus geschnittenem Tabak in einem Zellstoffbeutel, der grundsätzlich auch gekaut werden kann, vermarket wird? Darf dieses als Kautabak vertrieben werden oder ist Kautabak nur der lakritzartigen, zähen Masse aus Tabakblättern vorbehalten? Für den EuGH sind die objektiven Merkmale des zum Kauen bestimmten Erzeugnisses entscheidend – so Zusammensetzung, Konsistenz, Darreichungsform und tatsächlicher Verwendung. Der BayVGH konkretisierte dies kürzlich dahingehend, dass ein zum Kauen “geeignetes Erzeugnis” noch nicht zum Kauen bestimmt sei, wenn jedenfalls dessen Inhaltsstoffe auch ohne Kauen aufgrund ihrer feinen Konsistenz im Speichel freigesetzt werden können (Urt. v. 10. 10. 2019 – 20 BV 18.2234). Damit werden auch Snus-ähnliche, pastöse Produkte vom Totalverbot umfasst. Herstellerbezogene Hinweise auf der Verpackung wie “Nur kauen, nicht lutschen”, helfen auch nicht weiter. Snus ist in der EU – mit Ausnahme von Schweden – nicht erwünscht.

Wer Snus dennoch vertreiben will, kann in die Schweiz gehen. Dort hielt das Schweizer Bundesgericht das in Art. 5 der Schweizer Tabak-VO enthaltene Einfuhr- und Handelsverbot von Snus für “willkürlich und verfassungswidrig” und hob es auf (Urt. v. 27. 5. 2019 – Az: 2 C_718/2018). Nach Schweizer Recht darf Genussmitteln wie Tabakerzeugnissen eine Gesundheitsgefährdung zukommen, sofern diese nicht unmittelbar oder vorhersehbar eintritt. Solche Risiken rechtfertigen noch kein Verbot, denn sonst müssten alle Genussmittel verboten werden. Der Konsum von Snus sei weniger schädlich als das Rauchen von Zigaretten. Es sei willkürlich, ein solches Produkt zu verbieten, wenn bei gleicher Gesetzesgrundlage andere, gefährlichere Produkte nicht verboten seien. Ein rechtfertigender sachlicher Grund läge nur dann vor, wenn das schädlichere Produkt auch nützlicher sei. Das sei aber für das Rauchen von Zigaretten gegenüber dem Konsum von Snus nicht der Fall. Die Schweiz müsse EU-Regelungen nicht übernehmen. Handelshemmnisse würden nur entstehen, wenn Produkte, die im Ausland zugelassen sind, in der Schweiz verboten werden, nicht aber, wenn Produkte, die in einigen Ländern verboten sind, in der Schweiz verboten werden. Wenn sogar innerhalb der EU Snus nicht ausnahmslos verboten ist, könne die Schweiz, für die das EU-Recht nicht verbindlich ist, ein solches Verbot nicht mit Rücksicht auf Außenhandelsbeziehungen aufrechterhalten.

Eine ähnlich klare Begründung hätte man sich vom EuGH gewünscht, um das Snus-Verbot doch noch zu kippen. Schade, dass der EuGH sprichwörtlich keine “dicke Lippe” riskiert hat, um den EU-Tabakproduktemarkt um ein anderswo klar handelbares Produkt zu erweitern.

Dr. Ina Gerstberger, Rechtsanwältin, München

 
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