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WRP 2021, I
Schmidt 

Neue EU-Regeln für die Marktüberwachung – Neue Konkurrenz für das UWG?

Abbildung 1

RA Sebastian Carl Schmidt

Seit dem 16.07.2021 soll die Marktüberwachungsverordnung (EU) 2019/1020 („MÜ-VO“) im Interesse der Produktsicherheit, aber auch des fairen Wettbewerbs – siehe die Erwägungsgründe 1 und 18 MÜ-VO – ein einheitlich hohes Marktüberwachungsniveau auf dem Unionsbinnenmarkt sicherstellen. Ein neues Marktüberwachungsregime verlangt Beachtung auch im Grünen Bereich und wirft die Frage zum Verhältnis zum Lauterkeitsrecht neu auf.

Die hohe Relevanz des Lauterkeitsrechts im Bereich der allgemeinen Produktsicherheit ergibt sich aus dem Zusammenspiel von europäischer Regelungstechnik und Rechtsbruchtatbestand. Zahlreiche EU-Vorschriften regeln detailliert die harmonisierten Anforderungen an sichere Produkte. Die Gerichte gehen regelmäßig davon aus, dass EU-Vorschriften in diesem Bereich Marktverhaltensregelungen darstellen, die dem Schutz der Verbraucher dienen. Über den Rechtsbruchtatbestand ist daher die UWG-Kontrolle eröffnet. Die Vorteile liegen auf der Hand. Der rechtskonforme Marktteilnehmer kann gegen weniger rechtstreue Konkurrenten vorgehen. Das trägt dazu bei, dass Product Compliance aus Unternehmenssicht generell attraktiv ist (bzw. zumindest attraktiver als Non-Compliance) und wenigstens punktuell unsichere Produkte vom deutschen Markt entfernt werden. Außerdem leistet die wettbewerbsrechtliche Judikatur laufend Beiträge zur Rechtsfortbildung im Bereich Product Compliance, vgl. allein die in der jüngeren Zeit veröffentlichten Entscheidungen zur Relevanz von DIN-Normen (OLG Frankfurt a. M., 05.07.2018 – 6 U 28/18, WRP 2018, 1213), zur Herstellerkennzeichnung (OLG Frankfurt a. M., 21.04.2020 – 6 W 41/20, WRP 2020, 903), zu den Prüfpflichten von Onlineplattformen hinsichtlich der CE-Kennzeichnung (OLG Frankfurt a. M., 24.06.2021 – 6 U 244/19, WRP 2021, 1198) und zu Warnhinweisen (OLG Köln, 08.05.2020 – 6 U 241/19, WRP 2020, 1484).

Indes kann das UWG im Bereich der Produktsicherheit den behördlichen Vollzug keinesfalls ersetzen. Die „Störerauswahl“ trifft der Unternehmer als Kaufmann nicht risikobasiert, sondern anhand ökonomischer Kriterien, und er hat auch keine amtlichen Untersuchungsbefugnisse (vgl. zu strukturellen Problemlagen des Private Enforcement Köhler, WRP 2020, 803 ff.). Effektives Behördenhandeln ist daher besonders im Bereich der Produktsicherheit unerlässlich. Hier hat sich der EU-Gesetzgeber entschieden, mit der MÜ-VO nicht nur die Harmonisierung voranzutreiben, sondern den Behörden ein differenzierteres Instrumentarium für eine effektivere Kontrolle der Wirtschaft in diesem Bereich an die Hand zu geben. So sind die Behörden in Zukunft z. B. europaweit zu Kontrollkäufen und Audits befugt und die Marktakteure haben umfassend mit den Behörden zu kooperieren (Art. 14 MÜ-VO). Auf der Rechtsfolgenseite haben die Behörden die Möglichkeit, verschiedene Korrekturmaßnahmen zu verlangen, die von der nachträglichen Herstellung der Konformität bis zum Rückruf reichen (Art. 16 MÜ-VO). Zudem knüpft Art. 19 Abs. 1 MÜ-VO die Entscheidung über die wohl gravierendsten Maßnahmen, also Rückrufe und Vertriebsverbote, an eine angemessene Risikobewertung und nach Art. 14 Abs. 2 MÜ-VO ist der tatsächliche oder potenzielle Gesamtschaden hinsichtlich der Auswahl behördlicher Maßnahmen zu berücksichtigen.

Vorbehaltlich einer überraschenden 180-Grad-Kehrtwende in der lauterkeitsrechtlichen Entscheidungspraxis wird es auch künftig so sein, dass die Beachtung produktsicherheitsrelevanter EU-Vorschriften in Deutschland der UWG-Kontrolle unterliegt. Das Spannungsverhältnis von verwaltungsrechtlichem Opportunitätsprinzip und lauterkeitsrechtlicher Mitbewerbersanktionierung ist nicht neu (vgl. Ohly, in: Ohly/Sosnitza, 7. Aufl. 2016, § 3 a UWG Rn. 9). Angesichts der Regelungstiefe und Gefahrorientierung der MÜ-VO auf der Rechtsfolgenseite – bei Risikoadäquanzanforderungen an Rückrufe und Vertriebsverbote mag der eine oder andere direkt an „Rescue-Tropfen“ denken – und angesichts ausdrücklich auch wettbewerbsbezogener Harmonisierungsziele sollte der Fortbestand des Status Quo aber nicht unhinterfragt bleiben. Idealerweise zeigen die Gerichte mit überzeugend begründeten Entscheidungen auf, dass das UWG auch in diesem Bereich weiterhin einen wertvollen Beitrag zum Schutz von Verbrauchern, Marktteilnehmern und unverfälschtem Wettbewerb sowie zur Rechtsfortbildung leisten kann. Die Anwaltschaft im Grünen Bereich sollte wegen des breiten Anwendungsbereichs der MÜ-VO und zahlreicher Berührungspunkte zur wettbewerbsrechtlichen Praxis sensibilisiert dafür sein, dass sich möglicherweise neue Rechtsfragen an der Schnittstelle zwischen UWG und öffentlich-rechtlichem Produktsicherheitsrecht stellen.

RA Sebastian Carl Schmidt, Hamburg

 
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