Unverhofft kommt oft – Abschaffung von lebensmittelrechtlichen nationalen Meldepflichten?
Mittlerweile machen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten bei der Entbürokratisierung ernst. So sind mittlerweile gleich mehrere “Omnibus”-Projekte unterwegs, um die Vereinfachungs-Agenda der Kommission umzusetzen, z. B. in den Bereichen CSRD, CSDDD, Taxonomie, Gemeinsame Agrarpolitik, DSGVO oder chemischer Stoffe (“CLP”).
Aber auch Deutschland bleibt nicht untätig: Auf der 21. Verbraucherschutzministerkonferenz am 23.5.2025 in Berlin wurde überraschenderweise die Prüfung der Abschaffung verschiedener nationaler lebensmittelrechtlicher Meldepflichten beschlossen, und zwar unter TOP 35 (Überschrift: “Nationale Meldepflicht im Lebensmittelrecht streichen”) mit dem folgenden Wortlaut:
“1. Die Verbraucherschutzministerinnen, -minister und -senatorinnen der Länder stellen fest, dass mehrere nationale Meldepflichten für Lebensmittel- und Futtermittelunternehmer sowie für beauftragte Labore bestehen, die über EU-rechtliche Meldevorgaben hinausgehen. Sie bekennen sich zu dem Ziel, bürokratischen Aufwand sowohl für die Unternehmen als auch für die Überwachungsbehörden zu reduzieren und nicht erforderliche Meldepflichten unter Berücksichtigung der gesammelten Erfahrung abzuschaffen.
2. Die Verbraucherschutzministerinnen, -minister und -senatorinnen der Länder bitten den Bund, entsprechende Änderungen im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch zeitnah aufzugreifen.”
Auch wenn die Verbraucherschutzministerkonferenz verschiedene nationale lebensmittelrechtliche Meldepflichten anspricht, dürfte der Impuls für die Initiative in der aktuellen Diskussion über die Meldepflicht der privaten Laboratorien nach § 44 Abs. 4a und 5a LFGB liegen. Zwar wurde die Meldepflicht der privaten Laboratorien bereits im Jahre 2011 eingeführt,1 die Wahrnehmung der Regelung hat jedoch mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.10.20232 noch einmal erheblich zugenommen und zum Teil zu intensiven Diskussionen zwischen Überwachungsbehörden und Unternehmensverbänden geführt. Entschieden hatte das Bundesverwaltungsgericht, dass von Laboren auch auffällige Untersuchungsergebnisse, die im Rahmen einer sogenannten Freigabeanalytik generiert werden, den zuständigen Behörden zu melden sind. Kontrovers diskutiert wird seitdem, dass mit dieser
Weitere nationale Meldepflichten, die in dem Beschluss der Verbraucherschutzministerkonferenz angesprochen werden, sind die Regelungen nach § 44 Abs. 4 und Abs. 5 LFGB, welche als nationale Meldepflichten im Jahre 2009 nach den sogenannten Gammelfleischskandalen geschaffen wurden3 und – anders als die europarechtlichen Meldepflichten, welche sich an rückrufende bzw. rücknehmende Unternehmen richten – die Empfänger von unsicheren Lebensmitteln oder Futtermitteln treffen.4 Auch diese Regelung führt zu einer Doppelung von Meldepflichten und ist ebenfalls Ausdruck
“Dies trifft zum Beispiel auf Fallgestaltungen zu, in denen einem Lebensmittelunternehmer ein Lebensmittel angeliefert wird und er nach Feststellung, dass das Lebensmittel nicht sicher ist, das Lebensmittel an den Lieferanten zurückliefert. Geschieht dies, so kann der Lieferant versuchen, das Lebensmittel an einen anderen weniger sorgsamen Lebensmittelunternehmer zu veräußern. Im Zuge der verschiedenen Geschehen seit November 2005 in Zusammenhang mit überlagertem Fleisch ist deutlich geworden, dass so verfahren worden ist.
Die nunmehr vorgesehene Meldepflicht ergänzt die in Artikel 19 Abs. 1 Satz 1 bzw. Artikel 20 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 bereits bestehende Meldeverpflichtung. Ein Lebensmittelunternehmer soll dann zur Meldung verpflichtet sein, wenn er Grund zu der Annahme hat, dass ein Lebensmittel, das von einem anderen Lebensmittelunternehmer in den Verkehr gebracht worden ist, das für ihn bestimmt ist und über das er die tatsächliche Sachherrschaft erlangt hat oder das ihm angeliefert worden ist, einem Verkehrsverbot nach Artikel 14 Abs. 1 der Verordnung unterliegt, mithin gesundheitsschädlich oder für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist.”
Zu denken ist schließlich auch an die deutsche Verordnung zu Mitteilungs- und Übermittlungspflichten zu gesundheitlich nicht erwünschten Stoffen (Mitteilungs- und Übermittlungsverordnung – MitÜbermitV), welche ihre Rechtsgrundlage in § 44a LFGB hat. Danach ist ein Lebensmittelunternehmer oder ein Futtermittelunternehmer verpflichtet, ihm vorliegende Untersuchungsergebnisse über Gehalte an gesundheitlich nicht erwünschten Stoffen wie Pflanzenschutzmitteln, Stoffen mit pharmakologischer Wirkung, Schwermetallen, Mykotoxinen und Mikroorganismen in und auf Lebensmitteln oder Futtermitteln den zuständigen Behörden mitzuteilen, sofern sich eine solche Verpflichtung nicht bereits aus anderen Rechtsvorschriften ergibt. Aktiviert wurde diese Mitteilungspflicht gemäß MitÜbermitV im Jahre 2012 bislang lediglich für bestimmte Kongenere von Dibenzo-p-dioxinen und Dibenzofuranen sowie für bestimme Kongenere von dioxinähnlichen und nicht dioxinähnlichen polychlorierten Biphenylen. In den letzten 13 Jahren wurden also keine weiteren gesundheitlich unerwünschten Stoffe mit Mitteilungspflichten belegt. Allein diese Tatenlosigkeit des Gesetzgebers legt eine Abschaffung auch dieser Regelungen nahe.
Kein Kandidat für eine Entbürokratisierungsmaßnahme dürften hingegen die Meldepflichten nach der deutschen Verordnung mit lebensmittelrechtlichen Vorschriften zur Überwachung von Zoonosen und Zoonoseerregern (ZoonoseV) sein, da sich diese Meldepflichten auf Europarecht zurückführen lassen, insbesondere auf die Verordnung (EG) Nr. 2160/2003 zur Bekämpfung von Salmonellen und bestimmten anderen
Mit Spannung bleibt abzuwarten, ob der frisch entfachte rechtspolitische Elan tatsächlich zu Streichungen von Regelungen führt oder wieder einschläft. Für die europäische Lebensmittel- und Futtermittelwirtschaft, aber auch für die europäischen Überwachungsbehörden wäre eine Vollharmonisierung von Melde- und Mitteilungspflichten wünschenswert, da nur ein EU-weit einheitlicher Rechtsrahmen zu kohärenten Meldungen in einem einheitlichen Meldesystem führen kann. Die Streichung nationaler Sonderwege bedeutete einen ersten wichtigen Schritt in diese Richtung.
Dr. Petra-Alina Unland, Bielefeld, Prof. Dr. Markus Grube, Gummersbach
1 | Und zwar mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften (2. LFGBuaÄndG k.a.Abk.), G. v. 27.7.2011 BGBl. I S. 1608 (Nr. 41), Geltung ab dem 4.8.2011. |
2 | Az. 3 C 7.22, ZLR 2024, 216 – “Meldepflicht Laboratorium”. |
3 | Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften vom 29.6.2009, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2009 Teil I Nr. 38, ausgegeben am 3.7.2009, Seite 1659. |
4 | Die Vorschrift des § 44 Abs. 4a LFGB lautet für den Lebensmittelbereich: “Ergänzend zu Artikel 19 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 hat ein Lebensmittelunternehmer, der Grund zu der Annahme hat, dass 1. ein ihm angeliefertes Lebensmittel oder 2. ein von ihm erworbenes Lebensmittel, über das er die tatsächliche unmittelbare Sachherrschaft erlangt hat, einem Verkehrsverbot nach Artikel 14 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 unterliegt, unverzüglich die zuständige Behörde schriftlich oder elektronisch unter Angabe seines Namens und seiner Anschrift darüber unter Angabe des Namens und der Anschrift desjenigen, von dem ihm das Lebensmittel angeliefert worden ist oder von dem er das Lebensmittel erworben hat, und des Datums der Anlieferung oder des Erwerbs zu unterrichten. Er unterrichtet dabei auch über von ihm hinsichtlich des Lebensmittels getroffene oder beabsichtigte Maßnahmen. Eine Unterrichtung nach Satz 1 ist nicht erforderlich bei einem Lebensmittel pflanzlicher Herkunft, das der Lebensmittelunternehmer 1. unschädlich beseitigt hat oder 2. so hergestellt oder behandelt hat oder nachvollziehbar so herzustellen oder zu behandeln beabsichtigt, dass es einem Verkehrsverbot nach Artikel 14 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 nicht mehr unterliegt.” Die Vorschrift des § 44 Abs. 5a LFGB formuliert für den Futtermittelbereich eine vergleichbare Regelung. |
5 | Deutscher Bundestag Drucksache 16/8100, 16. Wahlperiode 14.2.2008, Seite 21. |