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BB 2025, I
Scharff 

Auswirkungen der Rechtsprechung des BAG zur mehrfachen Betriebszugehörigkeit auf arbeitsrechtliche Schwellenwerte – Arbeitgeber aufgepasst . . .

Abbildung 1

Die Brisanz dieser neuen Rechtsprechung aus Erfurt sollte keinesfalls unterschätzt werden!

Während das BAG noch vor gar nicht allzu langer Zeit die Betriebszugehörigkeit eines Arbeitnehmers anhand der sog. Zwei-Komponenten Lehre prüfte und dementsprechend neben der tatsächlichen Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb einen Arbeitsvertrag mit dem Betriebsinhaber voraussetzte, zeigen jüngere BAG-Entscheidungen, dass ein Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsinhaber für die Bejahung der Betriebszugehörigkeit nicht länger zwingend ist.

Deutlich kommt diese Sichtweise in der Entscheidung des 7. Senats vom 22.5.2025 (7 ABR 28/24) zum Ausdruck: Anhand der bisher ausschließlich vorliegenden Pressemitteilung (Nr. 22/2025) lässt sich ablesen, dass der 7. Senat des BAG bei Matrix-Führungskräften eine doppelte Betriebszugehörigkeit annimmt, wenn diese nicht nur in ihren “Stammbetrieb”, sondern zusätzlich in denjenigen Betrieb eingegliedert sind, in dem sie Arbeitnehmer führen. Ob tatsächlich eine Eingliederung in mehrere Betriebe vorliegt, muss anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.

Von ganz besonderer Relevanz sind arbeitgeberseitig unter anderem die Auswirkungen der BAG-Rechtsprechung zur mehrfachen Betriebszugehörigkeit auf arbeitsrechtliche Schwellenwerte: In vielen arbeitsrechtlichen Gesetzen befinden sich Regelungen, die ab dem Überschreiten einer bestimmten Arbeitnehmeranzahl zusätzliche bzw. verstärkte Pflichten für den Arbeitgeber bzw. ein “Mehr” an Arbeitnehmerschutz vorsehen. Nachfolgend soll lediglich auf die aus Arbeitgebersicht wohl bedeutsamsten Schwellenwerte und die Auswirkungen in diesem Kontext eingegangen werden:

  • Manche arbeitsrechtlichen Schwellenwerte sind nicht betriebs- sondern unternehmensbezogen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang z. B. an § 99 BetrVG und § 111 BetrVG, die arbeitgeberseitige Pflichten im Zusammenhang mit personellen Einzelmaßnahmen sowie mit Betriebsänderungen ab einem Schwellenwert von regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern des Unternehmens normieren oder an § 1 DrittelbG und an § 1 MitbestG, die für die Pflicht zur Bildung eines (drittel-)paritätisch besetzten Aufsichtsrates an die regelmäßige Arbeitnehmerzahl des Unternehmens von mehr als 500 bzw. 2 000 anknüpfen.
    Für derartige Schwellenwerte, die auf die (regelmäßige) Anzahl der (wahlberechtigten) Arbeitnehmer des Unternehmens abstellen, dürfte die BAG-Rechtsprechung zur mehrfachen Betriebszugehörigkeit jedenfalls dann keine Relevanz haben, wenn die Arbeitnehmer mehreren Betrieben eines Unternehmens angehören. Schließlich handelt es sich um ein- und denselben Arbeitnehmer des Unternehmens, unabhängig davon, ob er einem oder mehreren Betrieben dieses Unternehmens angehört. Mehrfachzählungen werden also bei unternehmensbezogenen Schwellenwerten zumindest bei mehrfacher Betriebszugehörigkeit innerhalb eines Unternehmens nicht zu erwarten sein.

  • Viele Schwellenwerte – insbesondere im BetrVG – knüpfen demgegenüber an die Anzahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten (wahlberechtigten) Arbeitnehmer an, so dass eine Überschreitung durch mehrfache Betriebszugehörigkeiten und daraus resultierende Mehrfachzählungen im Einzelfall denkbar sind. Zu nennen ist hier zunächst die Vorschrift des § 1 BetrVG, die eine Errichtung von Betriebsräten nur in Betrieben mit mindestens fünf ständig wahlberechtigten Arbeitnehmern vorsieht, von denen drei wählbar sind. Ganz ähnlich bestimmt sich die Anzahl der Betriebsratsmitglieder gem. § 9 BetrVG in Abhängigkeit von der Anzahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten (wahlberechtigten) Arbeitnehmer. So besteht der Betriebsrat in einem Betrieb mit regelmäßig fünf bis 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern aus nur einem Mitglied und nimmt mit ansteigender Arbeitnehmeranzahl sukzessive weiter zu. Diese Tendenz setzt sich im Rahmen des § 38 BetrVG fort, der eine stufenweise Erhöhung der Anzahl freizustellender Betriebsratsmitglieder mit ansteigender Arbeitnehmerzahl des Betriebs vorsieht.

  • Auch im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen kann die BAG-Rechtsprechung zur mehrfachen Betriebszugehörigkeit bedeutsam werden: Wenn es um die Frage geht, ob es sich um einen Kleinstbetrieb gem. § 23 KSchG handelt, bei dem der Arbeitgeber beim Ausspruch einer Kündigung nicht an die Vorgaben des KSchG gebunden ist, ist nicht auszuschließen, dass ein Gericht – besonders im Rahmen von Matrixstrukturen – mehrfache Betriebszugehörigkeiten für ausschlaggebend für die Anwendbarkeit des KSchG hält (in diesem Sinne z. B. LAG Köln, 22.4.2021 – 6 Sa 1066/20, NZA-RR 2021, 547).

  • Insbesondere dann, wenn Schwellenwerte betriebsbezogen sind, ist aus Arbeitgebersicht also Vorsicht geboten, damit diese Schwellenwerte nicht durch Berücksichtigung von Arbeitnehmern in mehreren Betrieben überschritten werden. Aus diesem Grunde sollten gerade Unternehmen in Matrixstrukturen, bei denen Führungskräfte Arbeitnehmer in anderen Betrieben als ihrem “Stammbetrieb” führen, sorgfältig analysieren, ob ein Risiko für eine Eingliederung in mehrere Betriebe besteht und überlegen, wie dieses ggf. bestehende Risiko minimiert werden kann, damit arbeitsrechtliche Schwellenwerte nicht durch Mehrfachzählungen überschritten werden. Es bleibt in diesem Zusammenhang zu hoffen, dass die Entscheidungsgründe der BAG-Entscheidung vom 22.5.2025 (a. a. O.) Arbeitgebern weitere Anhaltspunkte dafür liefern, welche Aspekte für eine Eingliederung wesentlich sein können.

Dr. Bettina Scharff, RAin/FAinArbR, ist Partnerin bei Ubber Labour & Law (München). Sie verfügt über langjährige und umfassende Erfahrung in allen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Insbesondere berät sie nationale und internationale Unternehmen bei komplexen betriebsverfassungsrechtlichen und tarifvertraglichen Fragestellungen, im Zusammenhang mit Reorganisationen und Umstrukturierungen sowie zum Fremdpersonaleinsatz.

 
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